Im Gedenken an Hrant Dink – PKK entschuldigt sich – EU-Statement – türkischer Staatsterror

FB Sperrung bearbeitet

Screenshot der Begründung für die Facebooksperrung

Nun ist es wieder so weit. Mein Facebookprofil ist seit Sonntag für ganze 30 Tage gesperrt worden. Begründung: Ein Foto mit Cemil Bayik, dem KCK-Ko-Vorsitzenden und einer halben(!) PKK-Fahne daneben. Auch wenn dies nun irgendwelche AKP-Trolle und türkischen Nationalisten freut: Ja, das ist nervig. Die Reichweite dieser Blogbeiträge wird vor allem durch Facebook erreicht. Deshalb würde es mich freuen, wenn ihr diesen Artikel selber auf Facebook teilt, auch mit dem Hinweis, dass ich dies die kommenden Wochen nicht tun kann.

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Tausende Menschen vor der Agos-Redaktion. Quelle

Im Gedenken an Hrant Dink

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In der Mitte der Mörder Ogün Samast. Der Polizist links (Yakup Kurtaran) machte nach der Aufnahme Karriere, bis hin zur Stelle des Sekretärs des Polizeichefs von Malatya. Quelle

Der heutige Dienstag stand ganz im Zeichen der Erinnerung an den großartigen linken Journalisten Hrant Dink, Chefredakteur der einzigen armenischen Tageszeitung namens Agos in der Türkei. Heute vor neun Jahren wurde er auf offener Straße von einem jugendlichen Rechtsextremisten erschossen. Die Hintermänner der Tat sind nach wie vor nicht ermittelt, der Prozess dauert an. Das der türkische Staat an einer nachhaltigen Aufklärung interessiert ist, ist unwahrscheinlich. Erinnert sei hier nur an die Polizeibeamten, die mit dem jugendlichen Mörder nach der Tat auf dem Polizeirevier Erinnerungsfotos mit türkischer Fahne in der Hand machten.
Unter dem Slogan „Wir kennen die Mörder – wir werden ihnen nicht vergeben“ versammelten sich heute im Andenken an Dink tausende Menschen vor dem Redaktionsgebäude von Agos. Auf der Kundgebung sprach auch die Witwe des in Diyarbakir ermordeten kurdischen Anwalts Tahir Elci, Türkan Elci. Sie las einen Brief ihres Mannes an den Journalisten vor. Auf der Kundgebung wurde von den RednerInnen betont, dass die Mörder Dinks´heute diejenigen seien, die die kurdische Bevölkerung ermorden.

PKK entschuldigt sich bei zivilen Opfern

Auch wenn die Nachricht schon einige Tage alt ist: Die PKK hat sich zum Anschlag auf das Polizeirevier in Cinar bekannt. Die Aktion geschah aus Rache an den 12, in Van am Sonntag vor einer Woche, getöteten PKK-Kämpfern. Laut Angaben der KCK wurden bei der Explosion in Cinar mehr als 30 Polizisten getötet. Staatliche Quellen sprachen von sechs Toten, darunter fünf Zivilisten. Die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen. Unter den Toten war auch ein Baby. Dies hatte zu Kritik auch von Seiten der HDP geführt. Selahattin Dermitas, der HDP-Ko-Vorsitzende, erklärte, dass sich die für den Anschlag Verantwortlichen entschuldigen müssten:

Die niederländische Journalistin Frederike Geerdink, die jahrelang als einzige ständig vor Ort in Diyarbakir lebende Schreiberin berichtet hatte und im Herbst vergangenen Jahres von der türkischen Regierung erst inhaftiert und dann ausgewiesen wurde, twitterte daraufhin, dass sie mit einem Sprecher der PKK geredet und dieser betonte habe, dass Anschläge auf ZivilistInnen ein Fehler seien und auch Angehörige von Sicherheitskräften für die PKK ZivilistInnen darstellten.

Nun liegt auch eine Erklärung der KCK zum Anschlag und den zivilen Opfern vor:
„Die Aktion hatte Sicherheitskräfte zum Ziel. Die Tatsache, dass die Polizeiwache im gleichen 5-stöckigen Haus wie die Polizeiunterkünfte untergebracht war, hat dazu geführt, dass zwei ZivilistInnen in diesen Unterkünften ums Leben gekommen sind. Außerdem ist bei der Aktion eine Trafostation auf ein Haus herabgestürzt, welche den Tod von drei Menschen, davon zwei Kindern, zur Folge hatte.
Wir betonen, dass die generelle Linie unserer Bewegung und auf Grundlage unserer politischen Ziele ZivilistInnen niemals unser Ziel sein können. Auch bei dieser Aktion waren die Sicherheitskräfte unser Ziel. Es wurde darauf geachtet, dass ZivilistInnen auf keine Art und Weise zu Schaden kommen. Wir möchten deshalb unsere Trauer darüber ausdrücken, dass aufgrund unserer Aktion trotzdem ZivilistInnen ums Leben gekommen sind und sprechen den Familien der ums Leben gekommenen Menschen unser Beileid aus.“

EU-Statement zur Situation in der Türkei

Am Sonntag veröffentlichte der Sprecher der Europäischen Union ein Statement zur Situation in der Türkei, in der die Inhaftierung türkischer AkademikerInnen, die einen Friedensaufruf bezüglich des Krieges im Süd-Osten der Türkei unterzeichnet hatten, als eine „extrem besorgniserregende Entwicklung“ bezeichnet wird.
Die EU verurteilt, in alter Manier, alle Formen terroristischer Anschläge, auch die der PKK und betont, dass beim „Kampf gegen den Terrorismus“ internationales Recht, inklusive Menschenrecht, beachtet werden müsse. „Die EU wiederholt ihren starken Glauben daran, dass der kurdische Friedensprozess, der einzige Weg ist, diesen Konflikt zu lösen, der zu viele Leben gekostet hat (…).“

Dazu einige (naive) Gedanken/Fragen:

  • Wieso mussten erst türkische Wissenschaftler inhaftiert werden, damit sich die EU zu einem Statement durchringt? Reichten 81 getötete kurdische zivile Frauen für ein solches Statement noch nicht aus? Oder 425 getötete kurdische ZivilistInnen?
  • Wieso wird nur der „Terrorismus“ der PKK verurteilt und nicht auf den türkischen Staatsterror eingegangen (mehr dazu unten). Durch wen sterben denn die kurdischen ZivilistInnen? 95% durch türkische Sicherheitskräfte. Da reicht ein sanfter Hinweis auf die Einhaltung internationalen Rechts beim „Kampf gegen den Terror“ nicht aus.
  • Wer hat denn den türkischen Staatshaushalt erst vor einigen Wochen um drei Milliarden Euro aufgestockt, damit vor Krieg und Verfolgung fliehende Menschen von der türkischen Polizei in speziell eingerichteten Haftzentren für Flüchtlinge gesperrt werden? Richtig, die EU. Außerdem ist die Verwendung dieser Gelder überhaupt nicht festgelegt. Es könnte also auch zum Teil im Kampf gegen die kurdische Freiheitsbewegung verwendet werden
  • Wie steht denn die EU zu einer Türkei, die derzeit zum Flüchtlingsproduzenten Nr. 1 im Nahen Osten aufsteigt? Keine Bemerkung dazu im Statement der EU.

Folglich kann man sich eine Erklärung in dieser Form auch sparen, noch dazu wenn sie nicht mit konkreten Schritten verbunden ist, die repressive Politik des türkischen Staates zu blockieren und ihn zurück zu ernsthaften(!) Friedensverhandlungen mit der kurdischen Freiheitsbewegung zu zwingen.

Can Dündar, inhaftierter Chefredakteur der Cumhuriyet hat einen in die selbe Richtung gehenden offenen Brief an Merkel geschrieben, der von Deniz Yücel in Die Welt veröffentlicht wurde und wirklich lesenswert ist.
Hier ein Auszug:
„Der Weg in eine Welt, in der nicht die Religion das Leben reglementiert, in der Frauen und Männer in Freiheit zusammenleben, in der Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit die allergrößte Wertschätzung genießen und in der nicht der Krieg, sondern der Frieden gepriesen werden, führt nicht darüber, die Grenzen zu schließen. Er führt über die globale, grenzüberschreitende Solidarität jener, die dieselben Ideale teilen. Andernfalls werden Sie für jede Unterstützung, die Sie gewähren, die Quittung bekommen.“

Ein Beispiel des türkischen Staatsterrors

Gestern wurde der Leichnam des 16-jährigen Hüseyin Paksoy ins Krankenhaus von Cizre gebracht.

Der 16-jährige Hüseyin Paksoy

Der 16-jährige Hüseyin Paksoy

Die Todesumstände des Jugendlichen sind furchtbar. Heute vor fünf Tagen, am 14. Januar, wurde er im Nur-Viertel von Cizre von der Armee angeschossen und schwer verletzt. Aufgrund der Ausgangssperre konnte er nicht in ein Krankenhaus gebracht werden, da die Sicherheitskräfte auf alles schossen, was sich im Umfeld des Hauses seiner Familie bewegte. Am 16. Januar versuchte ein Krankenwagen zum Haus vorzufahren, wurde aber sofort beschossen, sodass er kehrt machen musste. Der Anwalt der Familie legte, ebenfalls am 16. Januar, also als der Junge noch lebte, Beschwerde beim Europäischen Menschengerichtshof ein. Dieser entschied gestern, also am 18.1.16, dass die Türkei dazu verpflichtet sei, den Jungen einen Weg ins Krankenhaus zu ermöglichen.
Zu spät. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts war Hüseyin Paksoy schon tot, er war verblutet. Hüseyin ist der 69. getötete Zivilist, alleine in Cizre. Das ist Staatsterrorismus.

Und während diese Zeilen geschrieben werden, kommt schon die nächste Todesnachricht rein: Das DISK-Gewerkschaftsmitglied Mehmet Kaplan wurde soeben von türkischen Scharfschützen in Cizre erschossen. Die Familie kommt nicht mal an seinen Leichnam heran, da ein Panzer direkt vor dem Toten dies verhindert.

sur-krieg

Kriegsalltag in Sur. Quelle