Der Fall Solin G. – Entzug des Reisepasses und des Personalausweises

Solin G.

Die Repression gegen politisch aktive KurdInnen in Deutschland an einem weiteren Beispiel.

Solin G. ist 18 Jahre alt und politisch aktiv. Sie nimmt an legalen Demonstrationen teil, ist aktiv im Demokratischen Kurdischen Gesellschaftszentrum in Duisburg und Teil einer kurdischen Govend-Tanzgruppe. Am 1. September stand die Polizei mit drei Wägen vor ihrer Haustür in Oberhausen, um ihren Reisepass und Personalausweis zu beschlagnahmen. In einer „Ordnungsverfügung“ teilt das Einwohnermeldeamt der jungen Kurdin mit, ihnen lägen „sicherheitsbehördliche Mitteilungen vor, dass Sie fest in die Organisationsstrukturen der PKK (…) eingebunden sind.“ Die Behörden gingen davon aus, dass sie in Zukunft(!) eine noch stärkere Rolle in den Strukturen einnehmen könnte. Als Beleg für diese Behauptung wird genannt, dass Solin in diesem Jahr bereits zwei Mal nach Istanbul gereist sei. „Es wird hinreichend vermutet, dass Sie dort Jugendcamps der PKK besucht (…) haben.“ Wohlgemerkt: in Istanbul, der größten Stadt im Westen der Türkei, zum Besuch ihrer dort lebenden Familienangehörigen, während eines Sommerurlaubes.

Für eine solche „Gefahreneinschätzung“ brauche es „keine eindeutigen Beweise“, so das Amt zur Begründung des Passentzuges weiter. „Es reicht aus, wenn der begründete Verdacht einer Gefährdung der Belange der Bundesrepublik besteht.“ Und weiter: „Dem internationalen Ansehen der Bundesrepublik Deutschland würde ein erheblicher Schaden zugefügt werden, wenn bekannt werden würde, dass sie die Ausreise einer solch potentiell gefährlichen Person nicht schon im Vorhinein verhindert hat. (…) Ihrem persönlichen Recht auf Ausreisefreiheit nach Art. 2 Absatz 1 Grundgesetz steht das (…) internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber. (…) Das Interesse der Bundesrepublik (…) an seinem internationalen Ansehen überwiegt Ihrem Interesse an einer uneingeschränkten Ausreisefreiheit in erheblichem Maße.“ Nur zur Erinnerung: der IS-Terrormiliz in Syrien und im Irak schlossen sich aus Deutschland laut Inlandsgeheimdienst mindestens 1060 Personen an, mehr als die Hälfte besaß die deutsche Staatsbürgerschaft. Mal wieder deutsche Prioritäten, wer als gefährlich eingestuft wird und wer nicht.

Laut Solin hätten die Polizisten ihr beim „Besuch“ ihrer Wohnung mündlich gesagt, sie würde die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland stören. Gegenüber der kurdischen Tageszeitung Yeni Özgür Politika (YÖP) sagte sie: „Ich bin deutsche Staatsbürgerin, habe das Gymnasium erfolgreich abgeschlossen. Im nächsten Jahr will ich an der Universität Psychologie studieren. Ich bin nicht gefährlich, so wie sie es behaupten.“

Reise- und Ausweisdokumente hat sie jetzt keine mehr, sie ist nun ohne Papiere. Lediglich ein Ersatz-Personalausweis wurde ihr ausgestellt, falls sie innerhalb Deutschlands kontrolliert werden sollte. Die Intention ist offensichtlich: erst wenn Solin G. sich von ihren politischen Überzeugungen distanziert und abwendet, wird sie ihren Pass zurückerhalten. Oder in Beamtendeutsch: „Die von Ihnen ausgehende Gefahr wird so lange im Hinblick auf die Passversagung Bestand haben, bis seitens der Sicherheitsbehörden eine andere Einschätzung ihrer Person vorgenommen wird.“ Dagegen wird Solin G. anwaltlich vorgehen. Mit einer solch massiven Einschränkung der Reisefreiheit soll allen politisch aktiven KurdInnen deutlich gemacht werden, was passiert, wenn sie nicht klein bei geben. Es ist ein weiteres Beispiel für die sehr breite Palette an staatlicher Repression gegen sie.

Die Familie von Solin G. steht immer wieder im Visier des deutschen Staates. 2019 wurde ihrer Mutter, Zozan G., gedroht, das Sorgerecht für ihre fünf Kinder zu entziehen, weil sie diese „mit PKK-Propaganda indoktriniere“. Gemeint waren auch hier die Teilnahme an angemeldeten Demonstrationen, Festivals und Veranstaltungen in Deutschland. Für Solin besteht eine Verbindung zur jetzigen Situation: „Sie wollen sich eigentlich an meiner Mutter rächen.“ Denn der drohende Sorgerechtsentzug konnte verhindert werden, nachdem der Fall öffentliche Aufmerksamkeit bekam. Das Gericht wies Zozan G. damals jedoch an, ihre Kinder über „die Hintergründe und Auswirkungen des PKK-Verbots in Deutschland“ zu informieren. Als ob sie diese nicht selbst erleben würden, nachdem sie schon seit Jahren unter Überwachung des Staatsschutzes stehen und ihrer Tochter nun auch noch der Reisepass entzogen wurde. Zozan G. sagte letzte Woche gegenüber der YÖP: „Solche Repression schüchtert uns nicht ein. Wir glauben an diesen Kampf und werden keinen Schritt zurückweichen.“