Als ich von den Freund:innen der Initiative Demokratischer Konföderalismus (IDK) angefragt wurde, ein paar Zeilen zu ihrer Forschungsarbeit „500 Jahre. Aufstieg und Niedergang der kapitalistischen Moderne. Was wir aus dem Bauernkrieg von 1525 für den Aufbau einer befreiten Gesellschaft lernen können“ (vor kurzem veröffentlicht hier) zu schreiben, winkte ich zuerst ab. Ich habe nur sehr wenig Ahnung vom damaligen Aufstand der Bauern, dessen bekanntester Name Thomas Müntzer ist. Doch genau für die „Unwissenden“ wurde es geschrieben – für diejenigen, die sich mit der dörflich-agrarischen Gesellschaft, ihrer Umwälzung und Bedeutung für heute noch nicht beschäftigt haben. Das Buch setzt sich mit der Entstehung der kapitalistischen Moderne im 16. Jahrhundert als Folge einer tiefgreifenden Krise der staatlichen Zivilisation auseinander. Im Zentrum dieser Umbrüche standen soziale Kämpfe innerhalb des Heiligen Römischen Reiches, in denen Bauern, Handwerker:innen, Mystiker:innen und städtische Bewegungen für eine demokratische, freiheitliche und ökologische Gesellschaft eintraten. Das Jahr 1525 markiert dabei zugleich einen historischen Höhepunkt dieser demokratischen Bestrebungen – und zugleich den Beginn ihrer Niederschlagung durch Inquisition, Kriege, die Hexenverfolgung und eine systematische Zerschlagung gemeinschaftlicher Lebensformen. Ausgestattet mit der theoretischen Brille des maßgeblich von Abdullah Öcalan entwickelten Demokratischen Konföderalismus und des damit zusammenhängenden Geschichtsverständnisses betrachtet das Autor:innenkollektiv, wie die Schwächung dieser gesellschaftlichen Bewegung eine von mehreren Voraussetzungen war, damit sich der Kapitalismus als hegemoniales System durchsetzen konnte – begleitet von wachsender Ausbeutung, Krieg, Umweltzerstörung, Rassismus und Sexismus. Der heutige deutsche Staat wird in diesem Zusammenhang als Resultat einer 500-jährigen Geschichte der Machtentfaltung verstanden. Eine Betrachtungsweise der longue durée (nach Braudel), die sehr prägend ist für die Geschichtsanalyse der kurdischen Freiheitsbewegung und die nun von der IDK auf die regionalen Verhältnisse angewandt wird, aus denen die Internationalist:innen der Initiative selbst kommen. Das Buch ist also das Resultat der Universalisierung der Ideenwelt der kurdischen Freiheitsbewegung – und damit auch Ausdruck ihrer Anziehungskraft und Verbreitung, die oft jenseits jeglicher öffentlicher Aufmerksamkeit stattfindet. Es sind Aktivist:innen wie von der IDK, die wie ein Maulwurf unter der Erde arbeiten und so nach und nach den Durchbruch vorbereiten. Gleichzeitig machen sie mit dem vorliegenden Buch deutlich, dass eine wissenschaftlich tiefgehende Auseinandersetzung mit diesen in Vergessenheit geratenen Lebensformen auch jenseits von Universitäten und anderen staatlichen Bildungseinrichtungen möglich ist.
Aus einer marxistischen Tradition kommend, erinnert mich die Analyse an Jürgen Kuczinskys Vom Knüppel zur automatischen Fabrik (bestellbar im Verlag Das Freie Buch), der eine historisch-materialistische Analyse verschiedener Gesellschaftsformationen durchführt – begonnen bei der Urgesellschaft bis hin zum Kapitalismus. Sein Buch wurde in den 1950er Jahren für Kinder und Jugendliche als Einführung in die Geschichte der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft geschrieben. Allerdings gibt es auch Erwachsenen einen kurz gefassten materialistischen Überblick. Im Unterschied zum vorliegenden Buch zu den Bauernkriegen geht Kuczinsky von Produktionsverhältnissen und antagonistischen Klassenverhältnissen aus, die die geschichtliche Entwicklung bestimmen. Die IDK hingegen analysiert die Gesellschaftsentwicklung auf Basis von zwei miteinander ringenden Flüssen im Laufe der Zeit: dem demokratischen Fluss, der die gesellschaftlichen Kräfte repräsentiert, und dem zentralistischen/zivilisatorischen Fluss, der Staatlichkeit und Herrschaftssysteme darstellt. Was es genau damit auf sich hat, könnt ihr in der lesenswerten Broschüre erfahren. Ein Blick lohnt sich!