Journalismus und Newroz-Fest. Im Gedenken an Wedat Hussein

Am 17. März 2017 wurde in Kifri die Saison der Newroz-Feierlichkeiten in Südkurdistan eröffnet. Während die dominierenden kurdischen Parteien, KDP (Kurdistan Democratic Party) und PUK (Patriotic Union of Kurdistan), in der Neujahrszeit auf politische Festivitäten verzichten, sieht das die kurdische Freiheitsbewegung, die PKK, anders. Diese organisiert sich in Südkurdistan unter dem Namen Tevgera Azadi und gliedert sich in die Gesamtstruktur der KCK (Union der Gemeinschaften Kurdistans) ein. Sie ist mehr Bewegung als Partei. Die bis 2014 existierende Vorgängerorganisation, die „Partei für eine demokratische Lösung in Kurdistan“ (PCDK), wurde im Mai 2014 von der KDP verboten und aufgelöst. Nun organisieren sich die Menschen, die mit der Weltanschauung Abdullah Öcalans sympathisieren, eben in der Tevgera Azadi, was auf Deutsch in etwas Freiheits-Bewegung heißt.2017-03-17 13.28.34 Mit einem Nachrichtenteam von Rojnews machen wir uns in der Früh auf den Weg in die ungefähr 150 Kilometer entfernte Kleinstadt Kifri. In der Stadt Kelar steigt der örtliche Korrespondent in den Wagen und beginnt schon während der Fahrt auf seinem Laptop zu arbeiten. Auf der Buckelpiste gleicht das einem kleinen Kunststück, aber er scheint solche Arbeitsbedingungen gewöhnt zu sein. Eine relativ stabile Internetverbindung wird hier übrigens durch mobile Internet-Router in Form kleiner Boxen sichergestellt, die jeder, der es sich leisten kann, in der Tasche dabei hat. So auch der Korrespondent aus Kelar.

Wedat Hussein

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Im Gedenken an Wedat Hussein

Seinen Laptophintergrund ziert ein Portrait von Wedat Hussein. Der Rojnews-Journalist Hussein wurde am 13. August 2016 in Duhok auf dem Weg zur Arbeit auf offener Straße entführt. Stunden später wurde seine Leiche am Straßenrand gefunden. Er wurde zu Tode gefoltert. Seine rechte Hand, sein rechter Fuß und alle seine Rippen waren gebrochen. Sein Kopf wies schwere Schlagverletzungen auf. Bereits im Vorfeld hatte der Journalist Morddrohungen erhalten, weil er über interne Auseinandersetzungen und Korruption innerhalb der herrschenden Parteien in Südkurdistan berichtet hatte. Sicherheitskräfte hatten ihn bereits zuvor kurzzeitig inhaftiert und während der Befragungen geschlagen. Sie verlangten von ihm seine Arbeit bei Rojnews zu beenden oder als Spitzel tätig zu werden. Er verweigerte und bezahlte dies mit seinem Leben. Die Verdächtigungen reichen in die Geheimdienstkreise des Kurdistan Regional Government. Zwar wurden offiziell Ermittlungen zu dem brutalen Mord aufgenommen, bis heute gibt es allerdings keine Festnahmen. Und das obwohl das Nummernschild des Wagens und detaillierte Personenbeschreibungen der Entführer vorliegen. Es scheint so, als ob hier schützende Hände von ganz oben tätig sind, die ein Interesse am Verschwinden des kritischen Journalisten hatten. Als ich den Kelar-Korrespondenten auf Wedat Hussein anspreche, sagt er mir nur, dass sie sich gut gekannt hatten. Seinen Augen drücken die Trauer deutlich aus und ich höre auf zu fragen.

Kommunikation in Südkurdistan

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Journalist Mehmet Sezgin

Einige Worte dazu, warum ich mich mit vielen Journalisten hier vor Ort überhaupt unterhalten kann. Insgesamt sind die Kommunikationsmöglichkeiten recht unterschiedlich. Die häufigste Sprache ist das kurdische Sorani, das von ungefähr 10 Millionen der 20-25 Millionen Kurden beherrscht wird. Daneben gibt es Kurmanci, das von einem weiteren großen Teil der Kurden, vor allem im Norden gesprochen wird. Zusätzlich gibt es noch viele andere Dialekte und Ausprägungen dieser beiden Hauptströmungen, unter anderem Zazaisch, das in der Region Dersim und auch in Teilen Ostkurdistans gesprochen wird. Viele Journalisten, vor allem bei Rojnews, sprechen allerdings auch Türkisch und Englisch. Einige sind bereits vor Jahren oder erst vor Kurzem aus der Türkei geflohen und setzen ihre Arbeit jetzt in Südkurdistan fort. Mehmet Sezgin ist einer von ihnen. Der Mittdreißiger saß bis 2013 fünf Jahre in der Westtürkei im Gefängnis. Nach seiner Entlassung begann er bei der (mittlerweile verbotenen) kurdischen Nachrichtenagentur DIHA zu arbeiten. Außerdem schrieb (und schreibt) er für die linke Theoriezeitschrift Demokratik Modernite. Aufgrund einer einzigen Zeugenaussage eines früheren Mitangeklagten, der dadurch hoffte seine Freiheit zu erlangen, wurde das alte Verfahren gegen Sezgin neu aufgerollt. Er wurde zu weiteren 28 Jahren Haft verurteilt, nicht wegen seines Journalismus, sondern wegen legaler politischen Tätigkeiten in seiner Jugend. Daraufhin ging er ins Exil nach Südkurdistan und arbeitet nun seit einigen Monaten für die türkischsprachige Ausgabe von Rojnews. Übrigens: der Richter, der ihn erneut verurteilte, sitzt seit Juli 2016 wegen angeblicher Mitgliedschaft in der Gülen-Sekte im Gefängnis. Zu einer Überprüfung seiner gefällten Urteile gegen Kurden und linke Aktivisten hat das natürlich nicht geführt.

Aber nun zurück ins Auto, zurück zum Rojnews-Korrespondenten aus Kelar, zurück zur Newroz-Feierlichkeit in Kifri. Auf dem Weg kommen wir an einem großen Denkmal für die Opfer der Anfal-Operationen vorbei. Vielen wird der Begriff Anfal nichts mehr sagen. Für die Kurden ist es ein weiterer genozidaler Einschnitt ihrer Geschichte. Zwischen 1986 und 1989 wurden vom Saddam-Regime nach unterschiedlichen Schätzungen bis zu 180.000 Kurden ermordet und mehr als 4000 Dörfer zerstört. Die westlichen Partner hatten daran nicht viel auszusetzen, nach heutigem Merkelsprech zeigten sie sich höchstens „besorgt“, wollte man den Partner im Kampf gegen den Iran doch nicht verärgern. Der vom Bagdader Regime gewählte Begriff „Anfal“ steht dabei für die 8. Sure des Korans und bedeutet zynischerweise „Beute“. Das trifft es ziemlich gut. Blutige Repression, Ausrottung und Vertreibung ganzer Dörfer und Überwachung durch ein ausgeklügeltes Spitzelsystem des Baath-Geheimdienstes (dessen struktureller Aufbau übrigens nun wieder vom sogenannten IS eingesetzt wird), waren für die damalige Zeit prägend. Nicht nur in Halabdscha, auch in anderen kurdischen Dörfern wurde immer wieder Giftgas sponsored by Deutschland eingesetzt. Laut UN-Inspektoren kam mehr als die Hälfte der Ausrüstung für Saddam Husseins Chemiewaffenproduktion aus Deutschland.

Gleichzeitig passieren wir mit unserem Jeep riesige Flüchtlingslager von Kurden aus Rojava, Eziden aus dem Sengal-Gebirge und Arabern aus Mosul, die auch heute unter den Auswirkungen der imperialistischen Einflussname auf den Nahen Osten und ihrer Helfershelfer zu leiden haben. Die Zeit der Anfal-Massaker scheint angesichts der Verfolgung und des Leidens der Menschen in den Camps noch im Heute präsent zu sein. Viel geändert hat sich nicht.

Newroz-Fest in Kifri

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Kurz vor Kifri biegen wir in ein großes parkähnliches Gelände ein. Da Freitag ist (also der europäische Sonntag) picknicken dort bei warmen 20 Grad viele Familien im Freien und genießen den beginnenden Frühling.2017-03-17 14.58.37 In der Mitte des Areals ist eine Bühne aufgebaut, umringt von Fahnen der PKK, Bildern Abdullah Öcalans, gefallener Kämpfer in Rojava und Nordkurdistan, die aus der Region Kifri stammten und Portraits von Sakine Cansiz und Mazlum Dogan, die wichtige Führungs- und Gründungspersönlichkeiten der PKK waren und ums Leben gekommen/ermordet worden sind. Vor der Bühne versammeln sich immer mehr Menschen, sie stehen oder sitzen in einer der aufgebauten Stuhlreihen. Das Team von Rojnews baut die Kamera auf, per Internet-Router wird es einen Livestream geben. Da Rojnews ein Teil der PKK nahen Medienstrukturen ist, erfolgt die Nachrichtenproduktion hier nicht nur ausschließlich für diese eine Nachrichtenseite. Rojnews-Korrespondenten/Kameramenschen etc. liefern gleichzeitig Bilder und Videoaufnahmen für Sterk TV, einem Fernsehsender mit Sitz in Europa, Newroz TV (das bald in Freedom TV umbenannt werden wird und vor allem an Kurden im Iran und Südkurdistan gerichtet ist) oder die Nachrichtenagentur ANF (Firatnews).2017-03-17 14.04.32 Mit diesen verschränkten Strukturen werden Synergien gebündelt und Kosten gespart. Ein weiterer Beleg für die nationalstaatsübergreifende Arbeit kurdischer Medien. Interessant ist, dass die PKK nahen Medien nicht profitorientiert arbeiten. Auf der Rojnews-Seite finden sich keine Werbeanzeigen. Ein Journalist erklärt mir, dass es vor allem darauf ankomme die Sichtweise der Bewegung in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Und das lässt man sich dann auch was kosten. Auch wenn KDP nahe Medien wie zum Beispiel Rudaw finanziell, personell und technisch um Längen besser ausgestattet seien, gelinge es ihnen dennoch nicht den Mediendiskurs zu bestimmen. Das sagt jedenfalls der Kollege von Rojnews. Was ein Rudaw-Journalist dazu sagen würde, steht vermutlich auf einem anderen Blatt. Auch andere Medien berichten von der Newroz-Feierlichkeit in Kifri, so zum Beispiel der Fernsehsender Rega, der von der Kurdischen Kommunistischen Partei (KKP) finanziert wird.IMAG3660 Eine kurdische Bekannte erzählt mir, dass der anwesende Rega-Journalist selber mehrere Jahre als PKK-Guerilla in den Bergen gekämpft hat, bevor er als Journalist zu Arbeiten anfing. Kommunikationswissenschaftliche Mediensystem- und Journalismusforschung ist hier einfach etwas anders als in Deutschland.

Währenddessen beginnt das Bühnenprogramm, verschiedene Ansprachen werden gehalten und Musikgruppen treten auf. Besonders auffällig ist die ständige Betonung der Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes von Peshmerga und Guerilla. Angesichts der Gefechte im Sengal-Gebirge bei Khanesor zwischen den Ezidischen Selbstverteidigungseinheiten YBS, die von der PKK trainiert werden und von der Türkei ausgebildeten und von der KDP befehligten sogenannten Rojava-Peshmerga ist dies eine sehr tagesaktuelle Forderung. Ein Höhepunkt ist der Auftritt einiger Guerillas der PJAK, der „Partei für ein freies Leben in Kurdistan“, die im Dachverband der KCK den Kampf gegen das iranische Regime in Ostkurdistan führt, sich derzeit aber aus taktischen Gründen mit Aktionen zurückhält.IMAG3673 Auf der Bühne halten sie eine gefeierte Ansprache und singen anschließend einige Lieder. Auch wenn diese Kämpfer unbewaffnet zum Fest gekommen sind, hätten sie ohne Billigung der PUK, unter deren Kontrolle die Region steht, nicht kommen können. Derzeit finden zwischen PKK und PUK allerdings informelle Gespräche statt, sodass sich die beiden Parteien keine Steine in den Weg legen. In den Gebieten, die von der KDP, also Barzani, kontrolliert werden, wäre ein solches Newroz-Fest oder gar ein solcher Auftritt auf keinen Fall möglich gewesen, die KDP-Sicherheitskräfte hätten längst alle Anwesenden festgenommen.

Nach einem langen Tag geht es mit dem Rojnews-Team zurück nach Süleymaniye. In der Dunkelheit macht die Fahrt über Buckelpisten und an Kontrollpunkten vorbei besonders „Spaß“.

(Ich hoffe ich schaffe es einigermaßen meine politischen Beobachtungen, mit meinen Medienbeobachtungen zu verbinden und dies auf lesbare Art niederzuschreiben. Über konstruktive Kritik und Anmerkungen freue ich mich natürlich wie immer)

Hier noch einige andere Eindrücke der Festlichkeit:

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