Oder: wenn die Polizei München sich an Statistik versucht, aber eigentlich nur Politik macht.
Am Freitag, den 20. April 2018 veröffentlichte die Münchener Polizei ihren jährlichen „Sicherheitsreport 2017“. Da wir im Social Media-Zeitalter leben, musste sie das natürlich auch in einem Facebook-Post bekannt geben, den ihr hier findet:
Dort schreibt sie (inklusive Rechtschreibfehler): „Die Politisch motivierte Kriminalität – Ausländer wurde 2017 wurde seitens des BKA neu definiert. Wir unterscheiden seitdem zwischen PMK – ausländische Ideologie, der wir für letztes Jahr 84 Straftaten zuordnen können sowie der PMK – religiöse Ideologie, auf welche 30 Delikte fallen. Damit wurden insgesamt 114 Straftaten registriert, was einen Zuwachs um +49 Delikte (+75,4%) bedeutet. Dieser Anstieg lässt sich jedoch leicht erklären. Ein 29-jähriger Deutscher veröffentlichte auf seinem Facebook-Account letztes Jahr mehrere verbotene Symbole der „YPG“, „YPJ“ und „PYD“, alle der verbotenen Organisation PKK nahe stehend. Diese wurden von anderen Facebook-Nutzern geteilt, was wiederum etliche Strafanzeigen bundesweit nach sich zog. Da die Ursprungstat in München begangen wurde, war das Ermittlungsverfahren zum Zeitpunkt der Berichterstellung noch bei der StA München I anhängig.“
Es ist offensichtlich, wen sie damit meint.
Dieser Einschüchterungsversucht wirft einige Fragezeichen auf, die ich hier stichpunktartig thematisieren will:
- die Polizei München spricht von einem Anstieg der „Politisch motivierten Kriminalität – Ausländer“ um 75,4%, weil ein deutscher Staatsbürger Symbole der YPG/YPJ/PYD auf Facebook gepostet hat. Warum schiebt man die angebliche „Schuld“ den „Ausländern“ in die Schuhe, wo die Aktivitäten doch von einem Deutschen, und zwar mir, ausgingen?
- Sie schreibt in ihrem Bericht auf S. 75 ganz oben: „Diese Beiträge wurden von anderen Facebook-Nutzern geteilt und somit erneut veröffentlicht was zahlreiche Strafanzeigen, zum Teil über das Bundesgebiet verteilt, nach sich gezogen hat.“ Die meisten dieser NutzerInnen, die mir bekannt sind, die Posts geteilt haben und daraufhin polizeiliche Vorladungen erhalten haben, sind deutsche Staatsbürger. Meistens sogar ohne jeglichen Migrationshintergrund. Sie sind also sogar für Polizeibeamte „richtige“ Deutsche. Deshalb noch mal die Frage: Warum steigert das die „politisch motivierte Kiminalität – Ausländer“? Damit sich etwa die AfD und CSU wieder daran abarbeiten können?
- folgt man dieser Logik, trägt dann etwa der BR – Bayerischer Rundfunk mit seinen Artikeln, die mit YPG-Fahnen bebildert sind (z.B. hier: http://bit.ly/2sMQXtO) und deren Teilung auf Facebook ebenfalls zu Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft und Polizei München geführt haben, dann auch zur Erhöhung der politisch motivierten „Ausländerkriminalität“ bei?
- für strukturell rassistisch halte ich auch die neue Definition des Bundeskriminalamtes, dass es sich um „Politisch motivierte Kriminalität – Ausländische Ideologie“ handele (siehe FB-Post der Polizei München oder „Sicherheitsreport 2017“, S. 74). Im Falle der YPG-Posts werden die Auswirkungen einer solchen Definition deutlich: die Deutschen hätten mit solchen verbrecherischen Gedanken der kurdischen Freiheitsbewegung nichts zu tun, alles sei ein Import extremistischer Ausländer. Wie erklärt man sich dann aber, dass zum Beispiel am vergangenen Samstag in München 600 Menschen, darunter die übergroße Mehrheit deutsche Staatsbürger, mit YPG- und anderen ähnlichen Symbolen durch die Stadt zogen, um ihre Solidarität mit Afrin und Rojava zu zeigen? Basiert die „ausländische Ideologie“ der kurdischen Freiheitsbewegung nicht auch auf zentralen Merkmalen und Grundlagen der fortschrittlichen Bewegungen in Deutschland: Frauenbefreiung, Basisdemokratie, Ökologie, eine demokratisierte Wirtschaftsordnung und und und… Mit der Definition „ausländische Ideologie“ wird versucht etwas ins künstlich hergestellte „Außen“ zu verbannen, um ja keine Solidarisierung in Deutschland selbst, dem Innen, möglich zu machen. Und mit diesem „Außen“ weist man KurdInnen, die seit 30, 40 Jahren hier leben, arbeiten und politisch aktiv sind, ebenfalls einen Platz außerhalb dieser Gesellschaft zu. Wie soll so die in populistischen Sonntagsreden oft hervorgehobene „Integration“ so gelingen?
- kritisch ist zudem, dass die Polizei von einem Anstieg um +49 Delikte, also um 75,4% spricht und das, obwohl es in keinem der Verfahren bisher zu einer Anklage, geschweige denn zu einer Verurteilung gekommen ist. Bisher laufen nur Ermittlungsverfahren. Trotzdem spricht die Münchener Polizei von einem Anstieg der „Politisch motivierten Kriminalität – Ausländer“. Dies ist besonders auch deshalb fraglich, weil in anderen Bundesländern Amtsgerichte in sehr ähnlichen beziehungsweise gleichen Fällen bereits gegenteilige Urteile(!) und teilweise Freisprüche gefällt haben, so zum Beispiel das Amtsgericht Aachen (http://bit.ly/2Hmdy7L) oder das Verwaltungsgericht Frankfurt (http://bit.ly/2F9i6rL). Die Polizei München greift voreilig in anstehende Gerichtsentscheidungen ein, wenn sie ihrem Sicherheitsreport auf S. 75 schreibt, dass „verbotene Symbole der Organisationen ‚YPG‘, ‚YPJ‘ und ‚PYD'“ geteilt wurden. Ob überhaupt und wenn ja, wann diese verboten sind, hat nicht die Polizei zu entscheiden, sondern das Gericht. (Auch wenn mir bewusst ist, dass auch Gerichte in vielen Fällen nach politischen und ökonomischen Machtverhältnissen handeln).
- es wird außerdem wieder einmal deutlich, wie schlampig die Polizei arbeitet. Ein Blick in ihre Datenbank oder ein kurzer Click auf mein Facebook-Profil hätte ihnen gezeigt, dass ich Jahrgang 1986 bin und 2017 nicht 29 Jahre alt, sondern entweder 30 oder 31 Jahre alt war. Wenn diese Arbeitsweise auch in den YPG-Ermittlungsverfahren selbst so anhält, lässt das nichts Gutes erahnen. Und: von den Rechtschreibfehlern in ihren Veröffentlichungen soll hier gar nicht die Rede sein, ich mache selber viele.
Fazit: das die Münchener Polizei nichts besseres zu tun hat, als auf Befehl der Staatsanwaltschaft Facebook-Profile und ihre Posts zu verfolgen, zeigt deutlich, dass es in dieser Stadt im Bezug der „politischen Kriminalitöt“ eigentlich keine Probleme gibt. Wenigstens das hat der Sicherheitsbericht ungewollt deutlich gemacht.
Und es bleibt festzuhalten, dass die Statistiken im „Sicherheitsbericht 2017“ der Polizei München zu hinterfragen sind. Sie hat mit dieser Veröffentlichung nur eines erreicht und zwar sich selbst und ihre Zahlen desavouiert.