Warum Türkei-Kritik von Facebook gesperrt wird

Oder: Facebook als Handlanger türkischer Staatsinteressen

 

Ihr habt ja mitbekommen, dass ich unter anderem auch wegen ständiger Sperrungen meines Facebookprofils auf diesen Blog umgestiegen bin. Gesperrt wurde das Profil immer wieder, weil meine Posts, die meistens informierenden Charakter haben, teilweise Bilder enthielten, auf denen die Fahne der PKK zu sehen war. Aber nicht nur das. Letzte Woche wurde folgendes Bild von meiner Facebooktimeline gelöscht:

Aufgenommen bei den vom türkischen Staat verbotenen Newroz-Feierlichkeiten im März 2013

Bild aufgenommen bei den vom türkischen Staat verbotenen Newroz-Feierlichkeiten in Diyarbakir im März 2012


Es befand sich dort seit fast drei Jahren, nachdem ich es nach der Newroz-Feier 2012 hochgeladen hatte. Ihr seht darauf die weit verbreitete gelbe Fahne mit dem Gründer und Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan, auf dem Boden liegen. Darunter ist mit leeren Tränengaskartuschen, die die türkische Polizei auf uns Newroz-Feiernde abgeschossen hatte, das Wort „APO“ gebildet. Dieses ist eine Abkürzung für Öcalan und bedeutet gleichzeitig „Onkel“. (Die Feier konnte in Diyarbakir übrigens trotzdem stattfinden, nachdem hunderttausende Menschen die Polizei abgedrängt hatten, obwohl diese Schusswaffen und Kampfhubschrauber gegen die Menge einsetzte. Sieben Artikel von mir über die damalige Delegationsreise findet ihr übrigens hier).

Gawker-Leak

Ich habe bisschen im Internet recherchiert und bin dabei auf eine Veröffentlichung des Gawker-Blogs aus dem Jahr 2012 gestoßen. Dieser Blog beschäftigt sich vor allem mit Promis und der Medienindustrie und scheint, mit 23 Millionen Besuchern im Monat, eine seriöse Quelle zu sein.
Der Autor Adrian Chen beschäftigt sich dort mit einem geleakten internen Facebook-Dokument und dem dahinterstehenden Whistleblower, dem Marokkaner Derkaoui. In dem Dokument geht es darum, welche Inhalte von Facebook zensiert und wie die Menschen (sog. Moderatoren), die die Zensur ausüben, dabei instruiert werden. Facebook, als kapitalistisches Unternehmen, lagert diese Tätigkeiten an die Conten-Moderations-Firma oDesk aus (sog. Outsourcing). oDesk hat sich übrigens letztes Jahr in Upwork umbenannt und arbeitet anscheinend immer noch mit Facebook zusammen. Derkaoui berichtet, dass er nach einem Schreibtest und Interview für oDesk arbeiten durfte, zusammen mit ca. 50 Menschen, alle aus dem armen/ärmeren Süden, also den Philippinen, Mexiko, Indien und auch Türkei. Gearbeitet wurde von Zuhause in 4-Stunden-Schichten. Und was verdienten sie dabei? 1 Dollar(!) pro Stunde inkl. Zuschläge, mit denen man auf ungefähr 4 Dollar pro Stunde kam. Noch unglaublicher erscheinen diese Zahlen, wenn man bedenkt, dass Facebook im Jahr 2015 ca. 2,8 Milliarden Dollar Gewinn einfahren wird. Facebook (und Upwork) sind also Ausbeutungsunternehmen par excellence, das ist im Kapitalismus ja nichts Neues.
Zurück zum Thema. Nachdem Derkaoui wegen dem Gehalt, aber vor allem auch aus Sorge um seine psychische Gesundheit, wegen der täglichen Dinge, die er zu sehen bekam (Pedophilie, Nekrophilie, Köpfungen, Selbstmorde), kündigte, leakte er die internen Handlungsanweisungen an die Content-Moderatoren. Und wenn man sich die genau anschaut, versteht man auch wieso Facebook PKK/Öcalan/Kurdistan-Inhalte auf zensiert:

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Falls das Bild zu klein ist, findet ihr es auch hier (S. 4)

Unter dem Punkt „IP Blocks and International Compliance“ steht, dass alle Beleidigungen von Staatsgründer Atatürk (graphisch und textlich), Karten Nordkurdistans, brennende türkische Fahnen, jegliche PKK-Unterstützung und PKK-Inhalt ohne Kontext, sowie Inhalte, die Abdullah (Apo) Öcalan zeigen oder unterstützen, zu zensieren sind.
Die Türkei ist, soweit ich sehen kann, das einzige Land, dass in diesen Richtlinien erwähnt wird. In der geupdateten Version 6.2 dieser „Abuse Standards Violations“ ist vermerkt, dass (süd)kurdische Fahnen, sowie Inhalte die sich klar gegen die PKK/Öcalan richten, von den Moderatoren zu ignorieren und nicht zu zensieren sind.

Algorithmen

Natürlich funktionieren diese Sperrungen heute meistens über computergenerierte Algorithmen, die automatisch solche Inhalte zensieren und deren „Verursacher“ warnen oder sperren. Diese Algorithmen werden dann auf einen aufmerksam, wenn man von vielen Personen auf Facebook gemeldet wird. Angesichts dessen, dass ich in den letzten Wochen einige (Todes-)Drohungen auf Facebook von türkischen Faschisten/Nationalisten bekommen habe, ist es mehr als wahrscheinlich, dass diese auch mein Profil/Posts/Bilder gemeldet haben und daraufhin die Algorithmen gegriffen haben. Inwiefern hinter der Sperrung Türkei-kritischer, „pro“-kurdischer Berichterstattung nun auch Moderatoren wie Derkaoui gestanden haben, kann ich nicht sagen. Auf meine schriftlichen Beschwerde-Emails an Facebook habe ich jedenfalls nie eine Antwort bekommen.

Warum dieser Gehorsam?

Es stellt sich jetzt die Frage, warum Facebook so sehr auf die türkische Regierungspolitik zugeht und in vorauseilendem Gehorsam pro-kurdische Inhalte zensiert?
In der Türkei nutzen 40 Millionen (von 75 Millionen Einwohnern) Menschen Facebook, damit steht das Land auf Platz 7 der Rangliste der meisten Facebook-Nutzer, noch vor Deutschand (28 Millionen) und Frankreich (30 Millionen) und hinter USA (188 Millionen), Indien (122 Millionen), Brasilien (98 Mllionen), Indonesien, Mexiko und den Philippinen. 89% aller Computer-Nutzer in der Türkei sind mit Facebook verbunden.

Ergo: Die Türkei ist für Facebook ein riesiger, schnell wachsender Markt für Werbeanzeigen, private Daten usw.
Jetzt kommt es aber „blöderweise“ ziemlich oft vor, dass die diktatorische türkische Regierung Social-Media-Kanäle bei zu viel Kritik einfach sperren lässt. Dies ist vor allem bei den Gezi-Protesten 2013 so geschehen. Dies war der Dammbruch und danach wurden/werden kritische Webseiten und Social Media immer wieder mal gesperrt, egal ob Facebook, YouTube oder das sehr weit verbreitete Twitter, dessen türkische Tweet-Hashtags es immer wieder mal in die weltweiten Top Ten schaffen (Auch vor 2013 war YouTube teilweise über Monate hinweg gesperrt, so neu ist dies also nicht. Die AKP-Regierung war auch vor 2013 und den Gezi-Protesten schon scheiße).

Übrigens geht die Repression gegen Social-Media-Nutzer in der Türkei jeden Tag weiter. Gestern erst wurden vier Jugendliche in der westtürkischen Stadt Düzce wegen „Terror-Propaganda für die PKK/KCK“ auf ihren Social-Media-Kanälen verhaftet.

Damit sich der türkische Daten/Werbe-Markt für Facebook also nicht schließt, gehorcht der Zuckerberg-Konzern lieber dem türkischen Staat und wird zum willfährigen Zensurmeister. Interessantes Detail ist dabei, dass die südkurdische Fahne explizit aus den Zensur-Vorgaben ausgenommen ist. Dies passt ins Bild, ist Südkurdistan unter dem Barzani-Clan doch einer der besten Handelspartner der Türkei und Erfüllungsgehilfe der USA.

In den Gemeinschaftstandards schreibt Facebook: „Unser Ziel ist es, den Menschen das Teilen von Inhalten zu ermöglichen und die Welt zu vernetzen. Jeden Tag treten Menschen Facebook bei, um ihre Geschichten zu teilen, die Welt mit den Augen anderer zu sehen und sich mit Freunden und Themen zu verbinden, die ihnen wichtig sind. Die Unterhaltungen, die auf Facebook stattfinden, spiegeln die Vielfalt einer Gemeinschaft mit mehr als einer Milliarde Menschen wider.“

Dies gilt aber nur dann, wenn dabei die Profitinteressen dieses Großkonzerns nicht geschmälert werden. Also ist dies irgendwie auch nur wieder eine alltägliche Geschichte aus unserem ach so schönen Kapitalismus.

PS: Das komplette geleakte oDesk-Dokument findet ihr HIER.
PPS: Auf den politischen Aspekt, das die PKK in Europa und den USA auf den sog. Terror-Listen steht, bin ich in diesem Artikel nicht eingegangen. Dies spielt bei der Facebook-Zensur sicherlich auch eine Rolle. Dies ist aber nur ein weiteres Argument dafür, dass das undemokratische PKK-Verbot hier in Deutschland, aber auch in der EU weg gehört! Ob dann entsprechende Posts von Facebook nicht mehr gelöscht werden, wage ich stark zu bezweifeln.