Spezialeinheiten: Hinrichtungen in Van – Ermittlungen gegen Lehrerin

Türkische Spezialeinheiten geben auf Twitter Hinrichtungen in Van zu – Ermittlungen gegen Lehrerin – Sehenswerte VICE-Dokumentation

Die zwölf gestern in Van ermordeten Jugendlichen wurden vermutlich gezielt hingerichtet. Ein Twitter-Account mit dem Namen JITEM veröffentlichte am Sonntag folgenden Tweet:

jitem-tweet

grobe Übersetzung: „So wie wir heute in Van die 12 Kurden mit direkten Kopfschüssen niedergestreckt haben, werden wir ab jetzt mit jedem Kurden, den wir in Untersuchungshaft nehmen, umgehen.“

Nach nur 20 Minuten wurde der Tweet wieder gelöscht. Jitem ist die Bezeichnung für eine Spezialeinheit und zwar der „Gendarmerie für Geheimdienst und Terrorabwehr“. Nun könnte das natürlich irgendein Fake-Twitter-Account sein, allerdings hat er in den vergangenen Monaten immer wieder, noch vor der Presse, über extralegale Morde türkischer Spezialeinheiten berichtet und dabei auch bisher unveröffentlichtes Bildmaterial verwendet. So auch bei der Ermordung des 24-jährigen Haci Lokman Birlik in Sirnak, dessen Leichnam nach der Erschießung an ein Polizeifahrzeug gebunden und unter dem Jubel von Polizisten durch die Innenstadt geschleift wurde. Der Twitter-Account bestreitet den Tweet nun heftig und behauptet, dieser sei von einem anderen Account, der so ähnlich geschrieben werde, gekommen. Nachprüfbar ist das nicht. In der Vergangenheit haben Polizisten und Soldaten aber immer wieder über ihre Social-Media-Kanäle mit ihren Morden geprahlt und dabei Fotos der Toten gepostet oder getwittert. Das wäre also nichts Neues. Sicher ist jedenfalls, dass dieser Account enge Verbindungen zu kämpfenden Jitem-Agenten hat.
Mittlerweile sprechen auch HDP-Parlamentsabgeordnete Bedia Özgökçe Ertan und die Anwaltskammer in Van davon, dass die Jugendlichen gezielt und ohne Kampf erschossen worden sind. Anwohner, die die Auseinandersetzung hörten berichten außerdem, dass der „Kampf“ nur einige Minuten gedauert hätte und nur wenige Schüsse gefallen seien. Die meisten Getöteten weisen direkte Einschussspuren im Kopf auf. Interessanterweise wurde die Autopsie der Leichname von Van ins 570km(!) entfernte Malatya verlegt, offiziell aus Sicherheitsgründen. Auch dies deutet auf eine geplante Vertuschungsaktion hin. Eine Protestdemonstration in der Innenstadt von Van wurde heute mit Polizeigewalt, Wasserwerfern und Tränengasgranaten aufgelöst. Es soll sehr viele Festnahmen geben, genaue Zahlen gibt es aber noch nicht.

Ermittlungen gegen Lehrerin

Nun möchte ich über einen weiteren unglaublichen Vorfall im Alltag der Türkei berichten, bei dem man sich nur an den Kopf fassen kann. Es gibt in einem der größten Mainstream-Fernsehsender der Türkei, Kanal D, eine sehr bekannte Sendung namens Beyaz Show, die vom bekannten Entertainer Beyazit Öztürk (einer Art türkischem Stefan Raab) geleitet wird. Dabei geht es vor allem um Promis und Klatsch und Tratsch – eine typische türkische Verblödungssendung, passend zu Adornos Überlegungen zur Kulturindustrie.

Zuschauer haben dort die Möglichkeit direkt anzurufen und Fragen zu stellen. Dies hat eine junge Lehrerin namens Ayse Celik aus Diyarbakir genutzt und anstatt einer Frage zu stellen folgendes gesagt (Zusammenfassung):
„Seid ihr euch bewusst, was gerade im Osten der Türkei passiert? Hier werden ungeborene Säuglinge, Mütter und Menschen umgebracht. (…) Das was dort passiert wird in den Medien ganz anders dargestellt. (…) Die armen Menschen dort sollen nicht mehr sterben, die Kinder sollen nicht mehr sterben und ihre Mütter sollen nicht mehr weinen. (…) Ich bitte euch, habt Mitgefühl, bleibt nicht weiter so still und ruhig“
Daraufhin antwortet Beyazit Öztürk:
„Das haben sie gut gemacht, wir bedanken uns. Hoffentlich werden diese Friedenswünsche bald wahr.“

Noch während der Sendung brach eine Empörungswelle über die Lehrerin und den Moderator herein. AKP-nahe Medien werfen ihnen PKK-Propaganda verbreitet zu haben vor, es gibt Boykottforderungen und massenhafte Todesdrohungen gegen beide.
Am nächsten Tag veröffentlichte der Fernsehsender Kanal D, der zur Dogan-Mediengruppe gehört eine Erklärung, in der betont wird, dass der Sender immer an der Seite des Staates im Kampf gegen den Terror stehen wird und auch der Moderator Öztürk betonte seine Verbundenheit mit dem Staat und gab an doch der „Sohn eines Polizisten“ zu sein. Wirklich unglaublich. Genützt hat es ihm nichts.
Gegen die Lehrerin und gegen ihn sind nun von der türkischen Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen worden, wegen „Verbreitung von Propaganda einer terroristischen Organisation.“ So schnell kann es in der Türkei gehen. Da spricht man sich für den Frieden und für ein Ende der Toten aus und schon wird wegen Terror-Propaganda ermittelt. Wirklich unglaublich.

Update: Nun hat auch die Dogan-Mediengruppe eine Erklärung veröffentlicht, in der sie davon spricht, dass sie daran glaube, dass „der Kampf gegen die PKK und andere terroristische Gruppen eine verfassungsrechtliche Verpflichtung und Verantwortung sei, die sie unterstütze.“ Da hat wohl jemand Angst vor erneuten „Steuer-Ermittlungen“.

Sehenswerte VICE-Dokumentation

Zum Schluss möchte ich euch noch eine wirklich sehenswerte VICE-Dokumentation empfehlen, bei der GenossInnen aus Deutschland und anderen Ländern porträtiert werden, die an der Seite der Volksverteidigungseinheiten YPG gegen den Islamischen Staat kämpfen. Anschauen lohnt sich:

PS: Ach ja, diese Grafik der türkischen Menschenrechtsvereinigung über die Ausgangssperren in Nordkurdistan spricht für sich. Keine Worte nötig:

2016-01-10 00.57.10