In der Nacht von gestern auf heute gab es einen Autobombenanschlag auf das Polizeirevier in Cinar in der Provinz Diyarbakir. Dabei wurden sechs Menschen getötet, darunter ein Polizist und fünf Zivilisten. 39 Menschen wurden verletzt. Direkt nach der Explosion wurde das Revier mit Raketenwerfern beschossen, es wurde komplett zerstört. Vermutlich sind Einheiten der HPG (Volksverteidigungseinheiten) oder YPS (Zivilverteidigungseinheiten) der KCK/PKK dafür verantwortlich. Unter den getöteten befinden sich u.a. die Frau eines Polizisten, sowie ein Baby. Auch wenn diese Aktion von Seiten der kurdischen Freiheitsbewegung ausgeführt wurde, muss man deutlich machen, dass jede/r getötete Zivilist/in eine/r zuviel ist. Dies gilt natürlich zuallererst für den türkischen Staat, der für die übergroße Mehrzahl an getöteten Zivilisten verantwortlich ist.
Aber umso mehr gilt dies für die Guerillas der PKK und ihre Kampf-Ethik, die im Allgemein sehr hoch ist (Dazu schreibe ich in Zukunft noch etwas). Der Drang nach Rache für all die getöteten kurdischen Zivilisten, ist verständlich, aber nicht sinnvoll. Noch gibt es keine offizielle Bestätigung seitens der PKK, deshalb möchte ich mich mit einer abschließenden Bewertung zurückhalten. Allerdings ist diese Entwicklung eine Folge der „Logik“ des Krieges, die eigentlich keine Logik ist, sondern ein Prozess aus Aktion – Gegenaktion, der sich immer weiter hochschaukelt. Dies macht deutlich, dass es so schnell wie möglich wieder zu Friedensgesprächen, mit internationalen Beobachtern und Druck auf die türkische Regierung, kommen muss.
Die HDP-Ko-Vorsitzende Figen Yüksekdag erklärte heute zu den Anschlägen: „Wir teilen die Trauer der Angehörigen der in Cinar Verstorbenen. Wir haben dies in der Vergangenheit immer wieder ganz klar gesagt: In dieser Phase der Gewalt und der Kämpfe wollen wir, dass weder Soldaten, weder Polizisten, weder Zivilisten, weder Frauen, weder Jugendliche, weder Kinder, ja gar keiner unserer Mitbürger sein Leben verliert. Das ist es was wir wollen. Aber was wollen die Herrschenden? Ihre Antwort ist klar. Sie wollen noch mehr Kraft, noch mehr Autorität. Sie wollen das Präsidial-System und die Diktatur, sie wollen das Kapital haben.“
Noch in der Nacht des Anschlags wurde das politische Büro der DBP und des Vereins Kurdi-Der in Cinar aus Rache von vermummten Menschen angezündet. Anwesende berichten, dass es sich vermutlich um Zivilpolizisten gehandelt habe.
Während diese Zeilen geschrieben werden, kommt die Nachricht rein, dass in Cizre wieder ein Jugendlicher von türkischen Einsatzkräften ermordet wurde: Yakup Isirgan. Augenzeugen schildern, dass er zuerst angeschossen und dann auf dem Weg ins Krankenhaus erneut beschossen wurde. Beim zweiten Beschuss sei er dann ums Leben gekommen. Er ist der offiziell 56. Zivilist, der in der bisher 32-Tage währenden Ausgangssperre in Cizre von türkischen Polizisten/Soldaten ermordet wurde. Parallel dazu wurde im selben Ort ein altes Ehepaar von über 70 Jahren erschossen in ihrem Haus aufgefunden. Der türkische Staat ermordet somit jeden Tag weiter zahlreiche Zivilisten.
Bayik: Sultanahmet-Anschlag eine Aktion des MIT
Heute hat sich Cemil Bayik, KCK-Ko-Vorsitzender im Kandil-Gebirge zu den Anschlägen in Istanbul/Sultanahmet geäußert, bei denen am Dienstag 11 Touristen, getötet wurden. Hier eine grobe Übersetzung seiner Aussage, die heute in den Zeitungen „Yeni Özgür Politika“ und „Azadiya Welat“ veröffentlicht wurde:
„Die Wahrscheinlichkeit, dass die Hintergründe der Morde an den Touristen in Sultanahmet nicht so abgelaufen sind, wie es die AKP sagt, ist sehr hoch. Wenn dies eine Aktion des IS war, dann wurde diese sicherlich von der Palast-Gladio geplant. Der MIT (Anmerkung: türkischer Geheimdienst) ist innerhalb des IS sehr einflussreich. Die Palast-Gladio könnte mit Hilfe des MIT den IS zu solch einer Aktion veranlasst haben. So wie Hakan Fidan (Anmerkung: MIT-Chef) von syrischem Territorium aus die Türkei mit Raketen beschießen lassen wollte, könnte das Massaker in Sultanahmet eine ähnliche Aktion sein. Denn die Syrienpolitik der AKP befindet sich in starker Bedrängnis. Die Türkei wird als Land gesehen, dass mit dem IS zusammenarbeit und dessen Existenz absichert. Die Palast-Gladio könnte diese Aktion veranlasst haben, damit diese Anschuldigungen der AKP-Regierung gegenüber fallen gelassen und eine Zusammenarbeit mit Europa und den USA ermöglicht wird. Dieses Massaker geschah, um das eigene Image zu verbessern und um die Unterstützung dieser Staaten im Kampf gegen die kurdische Freiheitsbewegung zu erhalten. (…) Das sofort direkt nach dem Anschlag gesagt wurde, dass dies eine Aktion des IS war und die sofortige Auferlegung eines Berichterstattungsverbotes sind Anzeichen dafür, dass die Wahrheit nicht ans Licht kommen soll. Die ganze Welt sollte dieses Ereignis aus diesem Blickwinkel betrachten.“
Der Welt-Journalist und Türkeikorrespondent Deniz Yücel hat sich in einem Artikel ebenfalls mit dieser Frage beschäftigt. Er schreibt:
„Doch der schnelle – sehr schnelle – Fahndungserfolg wirft Fragen auf: Wie konnten die türkischen Behörden so schnell die Identität ermitteln, zumal es sich bei einem Attentäter um einen ausländischen Staatsangehörigen gehandelt haben soll? Nach Selbstmordattentaten ist es oft schwierig, Opfer zu identifizieren; bei den Tätern geht das oft nur mittels DNA-Analyse. Dass diese innerhalb kürzester Zeit gemacht und der Befund zugeordnet worden sein soll, bleibt bemerkenswert.“
Auch lesenswert von ihm ist folgender Artikel.