Kategoriensystem Uganda

Kategoriensystem zu „Die Einschränkung der Medienfreiheit durch die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Uganda am 18.02.2016“ (Arbeitstitel)

Hier findet ihr nun das vorübergehende Kategoriensystem. Die Entstehung dieses Kategoriensystems kann aber nur schwer nachvollzogen werden, wenn man nicht weiß, wie und auf welcher Grundlage es entstanden ist. Deshalb einige Worte dazu.

Welchem Wissensverständnis unterliegt diese Untersuchung? Ich gehe davon aus, dass Theorien ein „organisierendes Prinzip im qualitativen Forschungsprozess“ (Löblich, 2015, S. 67) darstellen. Jede Untersuchung eines Forschungsgegenstandes ist geprägt von gewissen Vorannahmen, Vorwissen und, ob man es will oder nicht, Vorurteilen. Die Wahrnehmung der Welt, in diesem Fall dem Mediensystem Ugandas, ist also nicht voraussetzungslos, sondern hängt auch immer von der Position des Forschers im wissenschaftlichen Feld und den eigenen Überzeugungen ab. Es gibt kein Wissen ohne das Subjekt und kein Wissen ohne Theorie. Anstatt diese wegzudiskutieren oder zu verneinen (wie dies oft der Fall ist), muss der Weg der Offenlegung und somit der Nachvollziehbarkeit gewählt werden. (Dieser Blog ist ja genau eine Art der Offenlegung)

Mit welcher theoretischen Brille (neben der Sonnenbrille) wandle ich nun während der Forschung durch Uganda? Mit Uwe Schimanks Ansatz der Akteur-Struktur-Dynamik. Sie bildet die theoretische Grundlage des zu entwickelnden Kategoriensystems. Um die theoretischen Voraussetzungen im Forschungsprozess und Ergebnis sichtbar zu machen, ist ein kategoriengeleitetes Vorgehen sinnvoll. Ein aus der Theorie abgeleitetes Kategoriensystem bestimmt die gesamte Untersuchung (Meyen et al., 2011 , S. 37).
Schimanks Akteur-Struktur-Dynamik basiert auf der Analyse der wechselseitigen „Konstitution von handelndem Zusammenwirken und sozialen Strukturen“ (Schimank, 2007, S. 122): Inwiefern wird das gemeinsame, wechselseitig bezogene Handeln von Individuen von sozialen Strukturen geprägt und inwiefern prägt dieses Handeln selbst die sozialen Strukturen? Schimank verbindet die auf das Individuum fokussierte Akteurstheorie mit der Systemtheorie (Meyen et al., 2014, S. 279). Laut Schimank folgt jeder Akteur einer speziellen, individuellen Handlungsintention, die, wenn verschiedene Intentionen von Individuen aufeinandertreffen, zu anderen, oft unerwarteten Resultaten führt, also transintentional werden. „Soziale Strukturdynamiken werden also stets intentional vorangetrieben, entgleiten den Akteuren früher oder später unweigerlich mal weniger, mal mehr ins Transintentionale“ (Schimank, 2007, S. 125).
Für die Untersuchung von Mediensystemen zu Wahlzeiten bedeutet dies also, wie das Handeln von Journalisten, kandidierenden Politikern/Parteien, regulierenden Behörden, Medieneigentümern oder Mediengewerkschaftern die Strukturen des Mediensystems bilden und diese Strukturen wiederum das Handeln dieser Menschen überhaupt erst ermöglichen. Im Falle Ugandas ist besonders zu beachten, wie diese Strukturen in Wahl(kampf)zeiten beeinflusst, eingeschränkt oder auch überhaupt erst ermöglicht werden.
Dabei unterscheidet Schimank drei Arten sozialer Strukturen: Konstellations-, Erwartungs- und Deutungsstrukturen. Diese bilden das Grundgerüst für mein Kategoriensystem.
Konstellationsstrukturen prägen das „Können“ der Akteure, also die Möglichkeiten der Handelnden in einem gegebenen System, in unserem Fall dem Mediensystem Ugandas, und im Zusammenhang mit anderen Systemen, im vorliegendem Fall besonders dem Politik-System. Sie stellen die Ressourcen dar, die Handlungen erst ermöglichen.
Erwartungsstrukturen stellen das „Sollen“ der Akteure dar. Also formelle, normative Erwartungen in Form von (Medien-, Wahl-) Gesetzen, der Verfassung oder supranationalen Regeln und informelle, normative Erwartungen der Gesellschaft an das Mediensystem.
Deutungsstrukturen, das „Wollen“, „sind um kulturelle Leitideen gruppiert“ (Schimank, 2007, S. 126). Im Fall von Mediensystemen handelt es sich dabei um Selbstverständnisse von Journalisten, also welche Ziele sie verfolgen und was sie für „guten“ Journalismus in Wahlzeiten halten. Hierzu gehört auch das Ansehen von Massenmedien und Journalismus in der Gesellschaft vor, während und nach Wahlzeiten.

Auf diesem theoretischen Ansatz baut nun das Kategoriensystem auf, dass durch Besonderheiten in Uganda mit zusätzlichem Leben gefüllt wird. Ich möchte betonen, dass es sich um ein vorläufiges Kategoriensystem handelt. Das heißt es kann immer noch abgeändert, ergänzt, gekürzt werden (Wenn ihr Ideen habt, her damit!). Qualitative Forschungsprozesse haben die Entwicklungsform einer Spirale, das heißt im Lichte neuer Erkenntnisse können im Rückgriff Annahmen immer noch verändert werden. Dies muss natürlich begründet geschehen und kann auch nicht endlos so weitergehen. Irgendwann muss man ja auch zu einem Ende kommen.

Konstellationsstrukturen (Können):

  • (Individuelle & kollektive) interne Akteure: Politiker/Parteien, Präsident Museveni, Behörden/Institutionen, Wissenschaftler, Unternehmer, Zivilgesellschaft, Königreiche/Stämme
  • einzelne interne Medienakteure: Radio, Zeitung, TV, Internet
  • (Individuelle & kollektive) externe Akteure: offizielle Wahlbeobachter, ausländische NGOs, internationale Geldgeber, „Westen“, Nachbarländer,  Ausländische Medien
  • Medienregulierung: staatliche Regulierung,  Selbstregulierung
  • Marktstrukturen: Medienanbieter und Eigentumsstrukturen, Finanzierung der Medien
  • journalistische Arbeitsbedingungen: Sicherheit/Arbeitsschutz, Ressourcen, Bezahlung, Ausbildung, Korruption/Bestechung/Selbstkontrolle/Zensur, Ausbildung/Training
  • Informations-/Medienzugang: Bevölkerung (Größe, Urbanisierung, Minderheiten, Sprachvielfalt, Klassenstruktur), Alphabetisierung, Medienkompetenz, (technische) Infrastruktur, mediale Wahlevents

Erwartungsstrukturen (Sollen):

Formell:

  • Verfassung (Staatsform, Funktion der Medien, Meinungsfreiheit)
  • Wahlgesetze, Vorgaben für Medienberichterstattung in Wahlsituationen, weitere Mediengesetze
  • supranationale Vereinbarungen

Informell:

  • Gesellschaftliche Erwartungen an das Mediensystem vor, während und nach Wahlzeiten, Medienverantwortung, Medien als Opposition/Sprachrohr der Regierung

Deutungsstrukturen (Wollen):

  • journalistische Selbstverständnisse: Ziele, Vorstellungen vom Wähler/Rezipienten, Routinen der Recherche, Kriterien für „guten Journalismus im Wahlkampf“
  • Ansehen des Journalismus und der Medien seitens der internen und externen (individuellen und kollektiven) Akteure zu Wahlzeiten

 

Literaturangaben:

Löblich, M. (2015). Theoriegeleitete Forschung in der Kommunikationswissenschaft. In S. Averbeck-Lietz, & M. Meyen (Hrsg.), Handbuch Nichtstandardisierte Methoden in der Kommunikationswissenschaft. (S. 67 – 79). Wiesbaden: VS.

Meyen, M., Löblich, M., Pfaff-Rüdiger, S., & Riesmeyer, C. (2011). Qualitative Forschung in der Kommunikationswissenschaft. Eine praxisorientierte Einführung. Wiesbaden: VS

Meyen, M., Thieroff, M., & Strenger, S. (2014). Mass Media Logic and the Mediatization of Politics. Journalism Studies, 15 (3), 271 – 288. doi: 10.1080/1461670X.2014.889459

Schimank, U. (2007). Handeln und Strukturen: Die reflexive Konstitution von handelndem Zusammenwirken und sozialen Strukturen. In C. Schlüter (Hrsg.), Journalismustheorie: Next Generation. Soziologische Grundlagen und theoretische Innovation. (S. 121 – 137). Wiesbaden: VS