Der Ahed-Tamimi-Hype

Am 29. Juli kam die 17-jährige Palästinenserin Ahed Tamimi nach fast acht Monaten Haft frei. Sie war von einem Militärgericht verurteilt worden, weil sie einen israelischen Besatzungssoldaten geohrfeigt hatte, der in das Haus ihrer Familie eindringen wollte. Am Tag ihrer Freilassung ist ihr Heimatsort, das kleine Dorf Nabi Saleh, überfüllt mit Journalisten, Kamerateams und Übertragungswagen. Die ganze Welt will zuschauen, wie sie ihre Freiheit wiedererlangt, welche Worte sie dabei wählt.

Ahed Tamimi und ihre Mutter Nariman, die am gleichen Tag aus der Haft entlassen wurde

Als Ahed aus dem Auto aussteigt, ist sie sofort von einer Menschentraube umgeben, die ihr auf Schritt und Tritt folgt. Zuerst geht es an das Grab ihres Cousins, der Anfang Januar im Alter von nur 17 Jahren von der israelischen Besatzungsmacht erschossen wurde. Fragen prasseln auf das Mädchen ein, Blitze aus Dutzenden Fotoapparaten lassen den Tag noch heller erscheinen. Nach einer kurzen Pause geht es weiter zur Pressekonferenz, mitten auf dem Dorfplatz. Hierfür wurde extra ein Denkmal errichtet: eine junge, vermummte Frau schießt mit einer überdimensionierten Zwille: In der Schleuder ist allerdings kein Stein, sondern ein großer Bleistift. Ein Symbol dafür, dass auch Bildung eine Form des Widerstandes gegen Besatzung ist.

In einem großen Halbkreis stehen an die 100 Journalisten und andere Medienarbeiter. Pressevertreter aus der ganzen Welt. Der Kameramann des ZDF klappt eine kleine Leiter auf und klettert mit wackeligen Beinen und einer schweren Kamera auf der Schulter hoch. „So viel Presse kommt ja nicht mal bei Trump“, murmelt er einem Kollegen zu. Eine gespannte Ruhe liegt über dem Platz, nur unterbrochen vom Klicken und Piepen der Aufnahmegeräte. Ahed beginnt mit ihrem Statement: „Die Macht liegt beim Volk, und das Volk wird über sein Schicksal entscheiden.“

 

Zeit, um uns etwas aus der Szenerie zurückzuziehen und sich darüber Gedanken zu machen, warum ausgerechnet ein so junges Mädchen im Fokus der Aufmerksamkeit steht. Warum sie und nicht ein anderer inhaftierter Jugendlicher? Seit dem Jahr 2000 sind mehr als 12.000 palästinensische Kinder und Jugendliche verhaftet worden. Derzeit sitzen nach wie vor an die 300 Minderjährige in israelischen Gefängnissen.

Ahed Tamimi und ihr Protest passen perfekt in die Funktionslogik vieler (westlicher) Medien. Da ist zum einen ihr Äußeres. Sie sieht nicht aus wie eine ‚typische‘ Palästinenserin. Lange, blond gelockte Haare, kein Kopftuch – ein Gegensatz zur ebenfalls inhaftierten Dareen Tatour, wie die Journalistin Nadine Sayegh feststellt). Ahed hat damit ein Erscheinungsbild, das mit den westlich-stereotypen Vorstellungen über islamisch dominierte Regionen bricht. Sie ist eine Person, mit der sich die Zuschauer vor dem Fernseher leichter identifizieren. Ahed Tamimi könnte die eigene Tochter sein, die hier protestiert. Auch ihr Alter erhöht die Empathiefähigkeit.

Ahed Tamimi am Grab ihres Cousins

Zum anderen hat das Dorf Nabi Saleh von 2009 bis 2016 wöchentlich gegen die illegale Landnahme der direkt angrenzenden israelischen Siedlung Halamish protestiert, allen voran auch die Tamimi-Familie. Dabei kam es regelmäßig zu Angriffen israelischer Soldaten auf die Demonstranten. Der Bürgermeister des Dorfes schätzt ein, dass in sechs Jahren 350 von 600 Dorfbewohnern verletzt wurden. Durch die Regelmäßigkeit des Protestes waren immer wieder auch westliche Medien vor Ort, um ‚gute‘ Aufnahmen zu erhalten: hier junge Palästinenser, die Steine schmeißen, dort hoch bewaffnete israelische Soldaten, die die Siedler verteidigen. In dieser Zeit konnten viele mediale Kontakte aufgebaut werden, die dann bei der Verfolgung und Verhaftung von Ahed Tamimi genutzt wurden.

Kritiker von Tamimi sprechen in diesem Zusammenhang oft von „Pallywood“ – von einer gezielten Inszenierung von Protest gegen die israelische Besatzung, die sich medial gut verkaufen lässt. Sie übersehen dabei, dass es vielmehr die Logik westlicher Medien ist, die dazu führt, dass eine junge Frau wie Ahed Tamimi überhaupt wahrgenommen wird.

Zurück zum Dorfplatz, zurück zur Pressekonferenz in Nabi Saleh. Ahed spricht noch immer, während die Fotoapparate klicken und ihr Englischdolmetscher sich Notizen macht. Sie zählt nun die Namen von weiteren inhaftierten Jugendlichen auf, mit denen sie gemeinsam im Gefängnis saß. Auf das ihre Existenz nicht vergessen werde und auch in westlichen Medien Aufmerksamkeit finde.