Den Krieg verhindern – 2. Bericht vom Farkha-Festival

Während diese Zeilen geschrieben werden, greift die israelische Armee erneut den Gaza-Streifen an. Mindestens acht Menschen wurden getötet, darunter ein 5-jähriges Mädchen. Mehr als 50 Personen wurden verletzt. Ziel ist laut israelischen Angaben Tayseer al-Jabari gewesen, ranghohes Mitglied des Islamischen Dschihads, der laut dem Journalisten Muhammad Shehada eher dem politischen Flügel der islamistischen Organisation nahegestanden haben soll: „Ihn zu töten ist für die Sicherheit Israels nicht von Bedeutung, aber ein großes Geschenk für Hardliner im Islamischen Dschihad“. Die Reaktion folgte wie erwartet. In der Nacht zum Samstag wurden etwa 160 Raketen aus dem Gaza-Streifen in Richtung Israel abgefeuert. Tote gab es dabei keine. Die israelische Luftwaffe bombardierte daraufhin in der Nacht erneut 30 Ziele, bei denen laut dem Sprecher der israelischen Armee Ran Kochav zehn weitere PalästinenserInnen getötet und 80 verletzt wurden. Und so könnte kurz vor den am 1. November anstehenden Neuwahlen ein neuer Krieg vor der Tür stehen. 25.000 weitere ReservistInnen sollen in Israel derzeit mobilisiert werden und die Medien stimmen auf einen längeren Einsatz ein. Wobei die Asymmetrie der Verhältnisse eigentlich verbietet, die Begrifflichkeit „Krieg“ zu verwenden. Es handelt sich überwiegend um Angriffe der israelischen Armee auf Gaza, ein 360km² großes Areal, auf dem mehr als 1,7 Millionen Menschen leben. Es gehört zu den dichtest besiedelten Gebieten der Welt, dessen Zugänge komplett von Israel (und Ägypten) kontrolliert werden. Viele sprechen nachvollziehbar vom größten Freiluftgefängnis der Welt. Hinzu kommt: Seit 1983 sind mehr als 10.000 PalästinenserInnen im ganzen Gebiet Israel/Palästinas durch die israelische Besatzung getötet worden (wie uns der bekannte Bürgerrechtler und Politiker Mustafa Barghouti im Gespräch berichtet).

Unter den TeilnehmerInnen des 27. Farkha-Festivals ist die Empörung groß angesichts der erneuten israelischen Eskalation. Für viele hängt sie mit den kommenden Wahlen zusammen. Laut Umfragen hat die gescheiterte Bennett-Lapid-Regierung keine Mehrheit mehr. Es ist nicht das erste Mal, dass zu Sicherung von Zustimmung auf Krieg gesetzt wird. Eine Taktik, die nicht nur von den Herrschenden in Israel angewendet wird. Bereits in den Tagen vor den direkten Angriffen, hat die israelische Armee versucht, durch Festnahmen und Durchsuchungen in der Westbank Reaktionen zu provozieren, die nun mit dem Abschuss der selbstgebauten Raketen aus dem Gaza-Streifen „endlich“ eingetreten sind. Umso wichtiger ist es nun, dass in Israel selbst Menschen gegen diesen erneuten Angriff gegen Gaza auf die Straße gehen. In Yaffa, Tel Aviv, Haifa, Jerusalem und Um al-Fahem sind gemeinsame Proteste von jüdischen Israelis und PalästinenserInnen geplant – ein wichtiges Zeichen dafür, dass die Kriegspläne der scheidenden Regierung nicht einfach so akzeptiert werden.

Gedenken an den Kommunisten Tawfiq Ziad

Die aktuellen Angriffe prägen auch das Gedenken an Tawfiq Ziad, das wir am Freitag zusammen mit seiner Witwe Nahida Ziad und vielen wichtigen GenossInnen der Kommunistischen Partei Israels, die extra angereist sind, durchgeführt haben. Es wurde ein Gedenkstein für den 1994 bei einem Autounfall verstorbenen kommunistischen Politiker eingeweiht. Er war 19 Jahre lang Bürgermeister von Nazareth und Mitglied der Knesset. Bei der Enthüllung begann Nahida Ziad eines der bekanntesten Gedichte von Ziad zu rezitieren „Ich rufe euch auf“ (Unadikum), viele Anwesende stimmten ein. Es war auch eine Reaktion auf die Nachricht der Bombardements, die zu diesem Zeitpunkt stattfanden. Hier ein Auszug aus dem Gedicht:
„Ich habe mich gegen meine Unterdrücker aufgelehnt
verwaist, nackt und barfuß
Ich trug mein Blut in meiner Handfläche
Ich senkte nie meine Fahnen“.

Das Festival selbst ist auch geprägt von der Kritik an den innerpalästinensischen Zuständen. Die Ashtar-Theatergruppe aus Ramallah führte zwei Stücke auf, die sich um Sexismus gegen Frauen am Arbeitsplatz und um den repressiven Umgang mit kritischen PalästinenserInnen durch die Autonomiebehörde drehten. Es war ein starkes Zeichen, die Gruppe nach Farkha einzuladen. Bei einem Theaterfestival Anfang Juli war sie bei einer künstlerischen Straßenprozession in Ramallah angegriffen worden, weil sie für eine LGBTIQ-Aktion gehalten wurde. Zudem werden ihre Theaterstücke immer wieder abgesetzt, weil sie reaktionären islamistischen Kräften ein Dorn im Auge sind. Gemeinsam mit der Theatergruppe diskutierten die TeilnehmerInnen im Anschluss, was gegen Frauenfeindlichkeit und autoritäre Entwicklungen getan werden könne.

Arbeiten im Ökogarten des Farkha-Dorfes

Ein weiterer Ausflug führt uns in einen kleinen Freizeitpark, der in einem Tal zwischen Farkha und Salfit liegt. Ein Nachmittag ohne harte Arbeit und politische Diskussion tut gut, doch auch hier holt uns die Besatzung schnell ein. Denn am oberen Ende des Hügels liegt ein neuer israelischer Außenposten, der das Ziel hat, zwei große Siedlungen miteinander zu verbinden und damit die Westbank weiter so zu zersiedeln, dass eine volle Kontrolle durch den israelischen Staat möglich und die Bewegungsfreiheit der PalästinenserInnen, die viele Straßen der Siedlungen nicht benutzen dürfen, noch weiter eingeschränkt wird. Konkret geht es um die Verbindung der Siedlung Barkan (etwa 2000 SiedlerInnen) mit Ariel, der größten Siedlung in der Westbank mit etwa 20.000 Personen und einer eigenen Universität, die von zusätzlich 10.000 Israelis besucht wird, obwohl sie etwa 20 Kilometer von israelischem Gebiet und damit der Green Line entfernt liegt. Also der Grenzen, die nach der Nakba zwischen Israel und arabischen Ländern vereinbart worden sind. Heute ist die Westbank in drei Gebiete aufgeteilt: A, B und C. Letzteres steht unter militärischer und ziviler Kontrolle Israels. Es macht 60% der Westbank aus(!). Der Bereich B steht unter militärischer Kontrolle Israels und unter ziviler Administration der palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Er macht circa 19% des Gebiets aus. Nur der Bereich A, derzeit etwa 18% der Westbank, ist unter militärischer und ziviler Kontrolle der PA. Unter Besatzung steht natürlich das ganze Gebiet. Die Aufteilung in unterschiedliche Bereiche dient Israel der Kontrolle und der weiteren Spaltung der PalästinenserInnen. Teil davon ist auch die Apartheidsmauer, die viele Dörfer und Städte voneinander isoliert, etwa Qalqiliya mit knapp 50.000 EinwohnerInnen. Die Stadt ist komplett umrundet von der Mauer und es gibt nur einen Zugang, der von der israelischen Armee kontrolliert wird. Sie ist von ihren Nachbarorten und dem umliegenden Farmland abgeschnitten.

Im Freizeitpark komme ich mit Mahmmoud ins Gespräch, der zu den OrganisatorInnen des Festivals gehört. Mit einem Augenzwinkern erzählt er, dass er seit kurzem eine Genehmigung habe auch in israelisches Gebiet zu reisen und sich dort als günstige Arbeitskraft ausbeuten zu lassen. Als ich ihn frage, warum er uns dann nicht auf der politischen Rundreise vor Festivalbeginn begleitet habe, sagt er: „Die Genehmigung ist nur von morgen 7 bis abends 19 Uhr gültig.“ Sollte er außerhalb dieser Zeiten innerhalb von Israel erwischt werden, könnte er inhaftiert werden. Dieses Risiko könne er nicht eingehen, auch weil er gerade Vater geworden ist. Während wir sprechen, fliegt uns donnernd ein Flugzeug nach dem anderen über den Kopf. Es sind die Flieger, die in Tel Aviv landen und dafür über die Westbank fliegen. In einem von ihnen saß ich wenige Tage zuvor selbst.

 

PS: Auf die hitzigen und realitätsfremden Diskussionen, die aufgrund unserer Palästinadelegation in Deutschland geführt werden, gehe ich zu gegebener Zeit und Stelle ein. Es scheint so, als ob manche Angst haben, ihre Deutungshoheit über das, was hier vor Ort passiert, zu verlieren.