Internationale Solidarität so stark wie noch nie – das 27. Farkha-Festival

Nach drei Jahren Corona bedingter Pause geht es nun endlich weiter – das Farkha-Festival in Palästina findet wieder statt. Seit Jahren wird dazu auf kommunisten.de berichtet. Doch dieses Jahr ist es anders. Dem Teilnahmeaufruf sind diesmal 50 junge Menschen gefolgt. So viele wie noch nie. Aus Kurdistan, Dänemark, Italien und Deutschland. Aus Organisationen wie dem SDS, Palästina Spricht, der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost, der Rojava-Jugend, Migrantifa Berlin, Hände weg vom Wedding, Kreuzberg United, der rot-grünen Jugend Dänemarks und viele mehr. Auch bekanntere Namen wie Bafta Sarbo, Simin Jawabreh und Nicole Schöndorfer sind dabei. Sie alle wollen sich vor Ort einen Einblick in die tagtägliche Situation der Unterdrückung und Vertreibung verschaffen. Aber auch darüber, wie die palästinensische Linke dagegen kämpft. Dem Unterstützungsaufruf sind auch viele Spenden gefolgt. So konnten wir dieses Jahr mehr als 10.000 Euro von vielen solidarischen GenossInnen mitbringen, um das Festival mitzufinanzieren (ein großer Dank an dieser Stelle). Immerhin wird damit ermöglicht, dass für eine Woche mehr als 150 Jugendliche zusammen, diskutieren, feiern, essen und trinken können.

Als das Flugzeug aus Deutschland in den Landeflug auf den Ben Gurion-Flughafen übergeht, überfliegt es wie selbstverständlich Gebiete der Westbank, die offiziell unter Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde stehen. Ein erstes Zeichen der tatsächlichen Machtverhältnisse vor Ort. Man kann von oben die mehr als 700km lange Apartheidsmauer erkennen, die die Westbank abriegelt. Auf der israelischen Seite blinken große Wasserspeicher in der tiefstehenden Nachmittagssonne, auf der palästinensischen Seite trockene Felder, wohin das Auge blinkt. Machtverhältnisse eben, die einem bewusst werden, noch bevor die Reifen des Fliegers auf der Landebahn aufgesetzt haben.

Um der internationalen Delegation einen guten Einblick in die Besatzungssituation zu verschaffen, haben wir  eine dreitägige politische Rundfahrt im Vorfeld des Festivals organisiert. Mit dem Bus geht es nach Jerusalem, Bethlehem, Hebron. Erster Halt ist jedoch Yafa bei Nazareth, einer kommunistischen Hochburg. Nazareth selbst wurde Jahre von der Kommunistischen Partei Israels regiert, unter anderem von Tawfiq Ziad, der in den 1970er Jahren die Idee der Freiwilligenarbeit etablierte, die heute noch in Farkha praktiziert wird und ein Kernelement des Festivals darstellt. Im Zentrum der Kommunistischen Jugend werden wir von kämpferischen Jugendlichen begrüßt, vor allem Frauen. Als sie sich vorstellen, sagen alle ausnahmslos „Ich komme aus Palästina“, obwohl Nazareth in Israel liegt, das von ihnen nur als 48-Gebiet bezeichnet wird, also als das Land, das 1948 besetzt worden sei. Mehr als 20% der Bevölkerung Israels besteht aus AraberInnen, die sich überwiegend als PalästinenserInnen definieren. Der israelische Nation Building-Prozess hat bei mehr als einem Fünftel der Bevölkerung keine Wirkung entfaltet. Wie auch, wurden sie während der Nakba vor 74 Jahren so gut wie alle aus ihren ursprünglichen Wohnorten vertrieben und sind auch heute noch einer massiven Diskriminierung ausgesetzt. Amnesty International spricht seit diesem Jahr von Apartheid, einem „System der Unterdrückung und Beherrschung der PalästinenserInnen: in Israel und in den besetzten Gebieten sowie gegenüber palästinensischen Flüchtlingen“.

In Yafa sehen wir, was die Nakba für die Menschen bedeutet. Früher wie heute. Wir sind bei einer Familie untergebracht, deren Opa 1949 von zionistischen Milizen ermordet wurde. Während der Nakba hatte er seine Familie nach Jordanien in Sicherheit gebracht und dann als Fahrer gearbeitet, um vertriebene Menschen über geheime Wege zurück nach Israel, dessen Gründung am 14. Mai 1948 erfolgte, zurückzubringen. Bis heute weiß man nicht, wo sein Leichnam ist. In Yafa leben heute viele Nachkommen von Familien, die damals vertrieben wurden. Oftmals ist ihr altes Land nur wenige Kilometer entfernt, doch jeglicher Anspruch darauf wird ihnen bis heute vorenthalten. Yousef Jabareen, Genosse der Kommunistischen Partei Israels (KPI) und früheres Knesset-Mitglied, berichtet von der bis heute anhaltenden systematischen Entrechtung der palästinensischen Bevölkerung im heutigen Gebiet Israels. Er zählt diskriminierende Gesetze auf (zu diesem Thema hat er promoviert), über die Nicht-Anerkennung der arabischen Sprache, über die massiven Schwierigkeiten, als PalästinenserIn Land und Eigentum zu erwerben, über die Ausgrenzung der islamischen Religion. Seine Schlussfolgerung: einen israelischen Pass zu besitzen bedeutet nicht, gleiche Rechte zu haben. „Israel“, sagt er, „ist wie ein Schweizer Käse: wir arabischen BürgerInnen leben in den Löchern.“
Die Vergangenheit der Nakba ist nur wenige Kilometer von Yafa entfernt. Auf eine bewaldeten Hügel stehen die Überreste von Ma`alul, einem Dorf, das 1948 komplett zerstört wurde. Nur die katholische Kirche durfte anschließend wieder errichtet werden, die Moschee hingegen nicht. Ihre Ruine ist heute noch sichtbar. Das Gebiet wird versucht von den GenossInnen der KPI als Erinnerungsort zu etablieren, die Umgebung der Kirche immer wieder gereinigt. Einen Gedenkstein gibt es natürlich nicht und als sie einmal eine Sitzgelegenheit vor der Kirche errichteten, wurde sie wenige Tage später von ZionistInnen zerstört. Es soll in Vergessenheit geraten, was damals geschehen ist. Davon zeugen auch die hohen Bäume, die auf den Steinresten gepflanzt wurden.

Weiter geht es an die Hafenstadt Akka. Dort funktioniert die sukzessive Vertreibung der PalästinenserInnen aus der lukrativen Altstadt durch hohe Mieten, Luxussanierung (Stichwort Gentrifizierung), Steuern und finanzielle Anreize, mit denen die ursprünglichen BesitzerInnen zum Verkauf gebracht werden sollen. Auch internationale Investoren sind dort aktiv. Welche Konzerne tagtäglich von der Besatzung profitieren, lässt sich auf www.whoprofits.org/ nachschlagen. In Jerusalem besuchen wir das Jerusalem Legal Aid and Human Rights Center (JLAC), das sich gegen die Entrechtung und Vertreibung der PalästinenserInnen in dieser für alle Seiten so wichtige Stadt einsetzt. Und in Hebron bekommen wir eine Stadtführung, die deutlich macht, wie zionistische SiedlerInnen sich mitten im Zentrum festgesetzt haben und von der israelischen Armee in ihren illegalen Besetzungen geschützt werden. Es sind viele Eindrücke, die sich in die Köpfe der TeilnehmerInnen einbrennen. Diese Delegation wird auch eine Auswirkung auf den Diskurs zu Israel/Palästina in Deutschland haben, da nun viele vor Ort sehen, was passiert.

Als wir am Sonntagabend, den 31.7.22, in dem kleinen Dorf Farkha ankommen, ist die Wiedersehensfreude groß. Zu lange haben die Coronamaßnahmen ein physisches Zusammentreffen verhindert. Umso mehr wird nun gefeiert. Die Pandemie spielt im Alltag von Palästina und Israel keine Rolle mehr. Und so drückt man und umarmt sich, tanzt und raucht Shisha. Natürlich neben all den Aktivitäten, die das Festival sonst prägen (Arbeiten, politische Diskussionsrunden, Kultur) und die sich auch in den früheren Festivalberichten nachlesen lassen.

Von einer Aktivität sei jedoch an dieser Stelle berichtet. Am Dienstag besuchten wir das 5000-Seelen Dorf Beit Dajan.  Der Bürgermeister vor Ort ist ein Genosse der Palestinian Peoples Party, deren Jugend das Farkha-Festival organisiert. Die BewohnerInnen Beit Dajans protestieren seit fast zwei Jahren gegen die Erweiterung einer Farm eines radikalen Siedlers, der sich auf den umliegenden Feldern des Dorfes immer weiter ausbreitet. Um seine Sicherheit zu gewährleisten, hat die israelische Armee Checkpoints errichtet, die das tagtägliche Leben massiv einschränken. Das Dorf hat eine lange Geschichte des kommunistischen Widerstandes, viele Gefallene und Inhaftierte, deren Porträts an den Hauswänden hängen. Wir sind gekommen, um unsere Solidarität zu zeigen und gegen die sukzessive Landnahme der Farm zu protestieren. Friedlich begeben wir uns auf den Weg Richtung Siedlung, werden jedoch schon nach 300 Metern von dutzenden schwerbewaffneten Soldaten gestoppt. Demonstrieren sei hier verboten, rufen sie uns zu und eröffnen wenig später das Feuer. Tränengasgranaten fallen herab und Gummigeschosse zischen uns um die Ohren. Ein Genosse wird am Kopf getroffen und muss im Krankenhaus behandelt werden, andere an den Beinen. Auch die anwesende Presse wird gezielt anvisiert, die JournalistInnen müssen – obwohl sie klar als solche gekennzeichnet sind – die Beine in die Hand nehmen. Am Ende sagt einer zu mir: „Der Mord an unserer Kollegin Shireen Abu Akleh, das war kein Zufall.“ Farkha 2022. An der brutalen Besatzung hat sich auch in drei Jahren Corona-Pause nichts geändert.

An dieser Stelle und auf www.kommunisten.de werden in den nächsten Tagen weitere Berichte erscheinen. Auf meinen Social Media-Seiten (Twitter, Facebook und Instagram) findet ihr tagtägliche mehrere Postings zu unseren Aktivitäten vor Ort. Weitere Eindrücke zur Reise und zum Festival findet ihr auf der Seite der kurdischen Nachrichtenagentur ANF.