Ist es, anders gefragt, nicht ziemlich geizig und egoistisch, das eigene Wissen für sich selbst zu behalten, indem man aus dem Internet zwar gerne alle möglichen Sachen herausholt – aber nichts selber dazu beiträgt?
Derzeit arbeite ich mit den Genossen Thomas Gebel (marxistische linke und attac Bremen) und Thomas Hagenhofer (DKP Saarland) an einem isw-report zur Frage „Internet und Demokratie“. Dieser wird im Mai/Juni 2016 erscheinen. Im Rahmen meiner Recherche habe ich die aktuelle Ausgabe der Zeitung Wir Frauen „Freiheit, Gleichheit, Internet?“ (4/15) in die Hand bekommen und bin da auf die interessante Bloggerin Antje Schrupp gestoßen, die, verkürzt gesagt, zu feministischen Themen bloggt. Bereits vor mehr als fünf Jahren hat sie einen wirklich guten Eintrag über die Sinnhaftigkeit des Bloggens verfasst, den ich in Rücksprache mit ihr hier reblogge. Auch wenn ich ihrer Einschätzung von demokratischer Polis und Internet widerspreche (Stichwort Vermachtung des Internets, mehr dazu im kommenden isw-report), sind ihre Gedankengänge wirklich gut und könnten so auch als Begründung herhalten, warum ich nun ab und zu blogge.
„Bloggen als Bürger_innenpflicht“ von Antje Schrupp:
„Neulich hatte ich mal wieder eines dieser „Was-machst-du-bloß-die-ganze-Zeit-in-diesem-Internet“-Gespräche. Dabei kamen wir auch auf einen Aspekt zu sprechen, der mir vorher gar nicht so klar war.
Ausgangspunkt war die Vermutung meiner Bekannten, ich müsste doch sicher sehr viel Zeit dafür aufwenden, zu überlegen, was ich schreiben will und all diese Themen zu finden. Daraufhin erwiderte ich, dass dieser Zeitaufwand relativ klein ist, weil ich mich nämlich nicht hinsetze und mir Extra-Zeit nehme, um zu überlegen, was ich bloggen und schon gar nicht, was ich twittern will, sondern dass ich einfach genau das schreibe, was mir ohnehin durch den Kopf geht. Das Denken lässt sich ja schließlich nicht abstellen, irgendwas denkt man immer, Gedanken schießen mir automatisch durch den Kopf, wenn ich etwas lese, sehe oder höre und so weiter. Und das wird dann, je nach Gewicht, zu einem kleinen Tweet oder einem längeren Blogpost verarbeitet.
Die Bekannte fand das nicht wirklich prickelnd. Wenn sie einen Roman liest, sagte sie, eines meiner Beispiele aufgreifend, dann gehe es doch wirklich niemanden etwas an, was sie dazu denkt. Das sei doch auch für die meisten sowieso ganz uninteressant. Und schließlich wolle sie doch auch mal entspannen und etwas nur für sich tun.
Mit diesem letzten Punkt hat sie natürlich recht. Mit den beiden ersten aber nicht – oder zumindest nicht mehr nach den Maßstäben des Web 2.0. Leicht widerlegt ist ihr zweiter Einwand: Das, was sie denke, sei doch für die meisten Menschen total uninteressant. Das mag zwar sein. Aber das ist ein Argument aus dem Zeitalter der Massenmedien. Im Internet kommt es auf Zahlen nicht mehr an, denn auch wenn ein Blog nur von fünf Leuten gelesen wird, die dafür – aus welchen Gründen auch immer – an dem Thema höchst interessiert sind, ist es eine schöne und wichtige Sache.
Der eigentlich interessante Punkt ist ihr erster Einwand: Dass es doch niemanden etwas angehe, was sie beim Lesen eines Romans (oder beim Beobachten der Welt insgesamt) so denkt. Geht das wirklich niemanden etwas an? Klar, in Zeiten wie den bisherigen, in denen die Welt schön aufgeteilt war in „öffentlich“ und „privat“ und in der wir entsprechend auch Profis dafür bezahlten, dass sie „öffentliche Meinung“ produzieren, während wir unsere Privatmeinung nur im kleinsten Kreise zirkulieren ließen – da war so eine Haltung verständlich. Aber war das wirklich eine ideale Situation? Oder war sie nicht einfach nur der Unzulänglichkeit der früheren Medien geschuldet, die es ja aus technischen Gründen ganz unmöglich machten, dass alle ihre Meinung sagten?
Ich denke, das Internet bringt uns wieder zurück zu dem, was die alten Griechen „Polis“ nannten – also einer Gesellschaft, die davon lebt, dass alle (bei den alten Griechen waren es nur die freien Männer, aber sagen wir heut mal, wirklich alle) sich an der „öffentlichen Meinungsbildung“ beteiligen. Eine Gesellschaft, die Politik als Diskurs der Verschiedenen versteht und im Gespräch, Austausch und Konflikt unter diesen vielen versucht, eine gute Lösung herauszufinden. Mit dem Internet besteht jedenfalls erstmals möglicherweise die Chance, dies auch in einer Polis zu bewerkstelligen, die aus mehr als ein paar hundert Menschen besteht.
Die Notwendigkeit, eine neue Art von „öffentlicher Meinung“ zu pflegen, liegt ja auf der Hand, wenn man sich den doch recht desolaten Zustand der bisherigen Profimeinungsmacher (Medien und politische Verbände bzw. Parteien gleichermaßen) anschaut. Je schlechter die werden, umso notwendiger ist es, dass sich andere Leute mit qualifizierten Beiträgen an der öffentlichen Diskussion beteiligen. Und es ist ja nicht so, dass die „Privatleute“ hier nichts beizutragen hätten. Sie wissen Sachen, haben Erfahrungen, sind originell, können Ratschläge geben oder kennen meinetwegen auch tolle Kochrezepte. Wir alle haben schließlich auf Kosten der Allgemeinheit eine Ausbildung genossen. Wäre es da nicht auch angemessen, davon der Allgemeinheit wieder etwas zurückzugeben? In Form von klugen Tweets oder Blogpost etwa? Oder auch in Form von Kommentaren und replys?
Ist es, anders gefragt, nicht ziemlich geizig und egoistisch, das eigene Wissen für sich selbst zu behalten, indem man aus dem Internet zwar gerne alle möglichen Sachen herausholt – aber nichts selber dazu beiträgt?
Das bedeutet natürlich auch eine andere Verantwortlichkeit auf Seiten derer, die als „Privatpersonen“ das Netz mit Inhalten füllen. Bisher gibt es dort in der Tat eine ganze Reihe von Leuten (und damit meine ich nicht nur die ausgewiesenen Trolls), die zwar in der öffentlichen Debatte mitmischen, sich dabei aber quasi in der Logik der früheren Privatleute aufführen. Sie blöken Stammtischparolen hinaus in die Welt, und offenbar geht es ihnen eher darum, vor ihren Freunden anzugeben und sich unter ohnehin schon Gleichgesinnten als besondere Radikalinskis hervorzutun, als darum, wirklich etwas Wertvolles zum allgemeinen Wohl beizusteuern. Verantwortlichkeit als Polis-Bürger_in bedeutet, dass ich der Allgemeinheit etwas von dem zurückgebe, was ich von ihr bekommen habe. Und dass ich das tue in dem Wissen, dass andere anders sind, also mich bemühe, mein Wissen ihnen auch zu vermitteln, in einem respektvollen gegenseitigen Diskurs.
Natürlich gibt es nicht wirklich eine Pflicht zum Bloggen (die Unterscheidung zwischen Pflicht und Spaß gehört selber auch auf den Müllhaufen der Geschichte, aber das ist ein anderes Thema). Doch gibt es heute eine viel größere Verantwortlichkeit für die Art und Weise, wie sich der oder die Einzelne am öffentlichen Diskurs beteiligt – oder eben auch nicht. Die Entscheidung dagegen ist jedenfalls genauso kritisch zu hinterfragen, wie die Entscheidung dafür.„
(Hervorhebungen durch mich)