Feldnotizen vom 18/19.02.16
Am Donnerstag, den 18.2.16 war es endlich soweit: Es wurde gewählt. Zumindest sollte gewählt werden. In vielen Wahlstationen ging aber erst einmal überhaupt nichts. Das war der Beginn einer chaotischen Zeit, die bis heute (20.2.16) anhält und ein Ende noch nicht absehbar ist. Aber von vorne.
Um 06:00 Uhr früh hieß es raus aus den Federn, denn bereits um 07:00 Uhr war ich mit Ivan Mpaata verabredet. Ivan ist Anwalt und Aktivist des Menschenrechtsnetzwerk für Journalisten in Uganda (HRNJ-U). Dieses stellte für den Wahltag 30 Beobachter, die speziell die Arbeit und den Umgang mit Journalisten beobachten sollten. Auf einem ausführlichen Fragebogen wurde angekreuzt, wie mit Pressevertretern an den Wahlstationen umgegangen wird, ob sie Einschränkungen in ihrer Berichterstattung erleben, aber auch ob es sich um weibliche oder männliche Journalisten handelt, um das Genderverhältnis analysieren zu können. Die Beobachtung des HRNJ-U war eingebettet in die Aktivitäten des Citizens Election Observers Network – Uganda (CEON-U), das insgesamt 700 Beobachter stellte. Auf dem Facebook-Auftritt von CEON-U gibt es übrigens lesenswerte aktuelle Informationen.
Verabredet sind wir in der Happy Day Quality School, die im Makindye-Viertel an der Lukuli Road liegt. Denn dort will Ivan verständlicherweise erst einmal selbst wählen. Doch die Stunden vergehen, die Schlange der Menschen, die wählen wollen, wird immer länger und nichts tut sich. Es gibt keinerlei Wahlunterlagen oder Urnen und die Leute beginnen ärgerlich zu werden. Hinzu kommt, dass sämtliche Social Media-Dienste, also Whatsapp, Twitter und Facebook, nicht funktionieren und wir Probleme haben mit anderen Beobachtern zu kommunizieren. Später erklärt die Uganda Communication Commission, dass sie die Internetanbieter angewiesen habe die Seiten aus Gründen „der nationalen Sicherheit“ zu sperren. Erst nachdem wir auf unseren Smartphones Hotspot Shield installiert haben und damit „verheimlichen“ aus welchem Land wir auf das Internet zugreifen, geht es wieder einigermaßen. Um 09:00 Uhr, zwei Stunden nachdem die Wahlen beginnen hätten sollen, entscheiden wir uns aufzubrechen und zu schauen, wie es an anderen Wahlstationen aussieht. Insgesamt fahren wir zehn Wahlstationen ab und befragen Journalisten, oder Menschen, die mit Journalisten gesprochen haben. Zwar können Reporter anscheinend ungehindert arbeiten, aber die Menschen können an keiner der Orte, die wir besucht haben, wählen. Der Ärger verwandelt sich in Wut, die wir auch abbekommen, da die Leute uns oft für Vertreter der Electoral Commission (EC) halten.
In Ggaba, direkt am Viktoria See, geht auch um 10:30 Uhr noch nichts voran. Die wütenden Einwohner erzählen uns, dass dies eine Taktik der Regierung sei, vor allem in städtischen Gebieten, in denen die Opposition stark ist, den Wahlvorgang verspätet beginnen zu lassen, um die Wahlbeteiligung zu verringern. In der Tat müssen immer mehr Menschen die Schlangen verlassen, weil sie arbeiten oder nach Hause zu ihren Kindern müssen. Ein Wähler schreit wütend: „Unser Recht darauf unsere Stimme abzugeben, wird uns verweigert. Wir sind gegen Gewalt, aber wenn das so weitergeht, wird es krachen und dann wird man uns das wieder vorwerfen.“ Interessanterweise erhalten wir Berichte, dass in den abgelegensten Winkeln Ugandas schon seit Stunden gewählt wird, aber in Kampala, in dem die EC ihren Sitz hat und wo die Opposition den Bürgermeister stellt, geht an vielen Orten nichts.
Erst um 12:45 Uhr, in der achten Wahlstation, die wir besuchen, beginnt die Wahl im Distrikt Makindye. Später erklärt die EC, dass die Wahlen an diesen Orten bis um 07:00 Uhr abends fortgesetzt werden und sie sich für die Verspätungen entschuldigen. Ob diese Information auch an alle durchdringt, ist zu bezweifeln.
Am frühen Nachmittag fahren wir schnell wieder zurück nach Ggaba, dort kommt es zu Straßenschlachten zwischen FDC-Anhängern und der Polizei. Als dort die Wahlunterlagen endlich angekommen sind, gab es den Verdacht, dass die Wahlzettel schon komplett im Sinne der NRM angekreuzt waren.
Daraufhin zerstörten die sowieso schon wütenden Menschen die komplette Wahlstation und begannen Straßensperren zu errichten. Genau als Ivan und ich vom Boda Boda steigen, geht neben uns eine Tränengasgranate nieder und wir müssen wie Schlosshunde heulen. Letztendlich werden die Wahlen dort für diesen Tag abgesagt und am kommenden Tag durchgeführt, doch auch da kommen die Unterlagen wieder viel zu spät. Einige Menschen können gar nicht wählen, da ihre Wahlunterlagen am Vortag zerrissen worden waren.
Diese Eindrücke sind natürlich sehr subjektiv und beschränken sich auf meine Beobachtungen. Positiv ist zu verzeichnen, dass es insgesamt so gut wie keine Gewalt am Wahltag selbst gab und die Presse, ausländische sowie inländische, ohne Einschränkungen berichten konnte. Es stellt sich aber natürlich die Frage, ab wann (Staats-)Gewalt überhaupt beginnt. So berichtet Michael, mein Gastgeber, der selber als Wahlbeobachter der EU in der Nähe von Nebbi im Einsatz war, dass an den meisten Wahlstationen die berüchtigten Crime Preventer („Verbrechensbekämpfer“), eine paramilitärische, von der Polizei trainierte Gruppe, präsent waren und die Menschen beim Wählen beobachteten oder selbst mit Hand anlegten.
Auf heftige Kritik seitens Amnesty International und anderer Organisationen stieß vor allem das Verbot sozialer Netzwerke im Internet. AI erklärte dazu: „Die Entscheidung der ugandischen Regierung, am Wahltag den Zugang zu Social Media auf Handys zu blockieren, ist ein eklatanter Verstoß gegen die fundamentalen Rechte auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit der Ugander.“ Korrigierend muss man dazu festhalten: Social Media war komplett gesperrt und nicht nur auf Smartphones, außerdem hält die Sperre bis zum jetzigen Zeitpunkt (20.2.16, 15:00 Uhr) an.
Hier findet ihr ein Video zum Wahltag und den Auseinandersetzungen, das ich aus meinen sehr unprofessionellen Handyaufnahmen zusammengeschnitten habe:
Communication Commission
Am nächsten Tag, Freitag, den 19.2.16, habe ich vormittags ein wichtiges Gespräch mit Fred Otunnu. Er ist ranghoher Director of Corporate Affairs der Uganda Communication Commission (UCC), der Regulationsbehörde für Fernsehen und Radio. Genau diese Behörde hatte am Vortag den Zugang zu Social Media gekappt und Otunnu stand als ausführender Verantwortlicher im Mittelpunkt der Medienaufmerksamkeit. Umso interessanter ist es natürlich genau am Tag danach mit ihm über Medienfreiheit und die Rolle der UCC zu sprechen. Im geräumigen Büro im sechsten Stock der Behörde empfängt mich der sehr freundliche Beamte, den ich übrigens einzig und allein über Whatsapp kontaktiert habe. Seit 2001 ist er bei der UCC und hat dort Karriere gemacht. Davor hat er an der Makerere Universität studiert und drei Abschlüsse gemacht: in Politikwissenschaft, Internationale Beziehungen und Jura. Als Director of Corporate Affairs ist er unter anderem für die Öffentlichkeitsarbeit der UCC und nationale Beziehungen zuständig.
Er erzählt, dass die UCC 1997 auf Grundlage des Uganda Communications Act gegründet worden ist. Die Aufgaben der Behörde sei es „Beschwerden bezüglich Kommunikationsanbieter zu erhalten, diese zu untersuchen und nötige Maßnahmen zu ergreifen.“, so beschreibt es ein Faltblatt, dass im Foyer der Behörde ausliegt. 2010 begann die Verschmelzung der UCC mit dem Broadcasting Council, die 2013 mit einem Beschluss des Parlaments vollendet wurde. Die UCC ist nun für TV und Radio zuständig, während der Media Council für die Printpresse zuständig ist.
Laut Otunnu überwacht zum Beispiel ein Programm die Inhalte von 100 Radiosendern im Land. Im Fokus stehe dabei, mögliche Gesetzesverstöße zu entdecken. Ziel sei es, bis Ende 2016 alle 260 Radiostationen durchgehend überwachen zu können. Ich spreche ihn auf die Schließung von Radiosendern, nachdem sie Oppositionskandidaten on Air hatten, an. So zum Beispiel der schon öfters erwähnte Radiosender Endegyito FM. „Wir sichern eine faire Berichterstattung bei den Wahlen ab“, sagt der Beamte zu Beginn ganz prinzipiell. Die Schließung von Sendern wie Endegyito FM habe keinerlei politische Hintergründe. Es sei ein generelles Problem, dass sehr viele Sender ohne Lizenz arbeiten und so gut wie keine Steuern zahlen würden. Nach mehrfachen Warnungen und Mahnung, sei der Sender dann gesperrt worden, bis die Steuerschulden beglichen waren. Nun kann er wieder normal senden.
Ich weiß nicht genau, was ich davon halten soll. Es stimmt, dass wirklich viele Radiostationen ohne Lizenz senden und viele nicht einmal daran denken, Steuern zu zahlen. Dass die Schließung des Senders Endegyito aber direkt nach einem Interview mit Oppositionskandidat Mbabazi erfolgte, hat ein Gschmäckle. Andererseits gab es auch viele andere Sender, die Steuerschulden hatten und im Wahlkampf Oppositionskandidaten im Studio hatten und daraufhin nicht gesperrt worden sind. Es ist also keine leichte Sache, sich darüber ein abschließenden Urteil zu bilden.
Wahlzeiten seien, so Otunnu, immer auch Zeiten hochkochender Emotionen und dabei schieße der ein oder andere Sender auch mal gerne übers Ziel hinaus und dann verwarne die UCC diese Sender. Auf dem Land seien auch die Eigentumsstrukturen ein Problem, eine Sache, die so gut wie alle zu dem Thema Interviewten ansprechen. „Wenn der Eigentümer politische Ambitionen hat oder mit Politikern verbandelt ist, dann macht sich das im Programm bemerkbar, egal ob der Sender einem NRM-Anhänger oder Oppositions-Anhänger gehöre.“
Die Antwort auf die Frage warum denn Social Media gesperrt worden ist, fällt eher unbefriedigend aus. Die Anweisung sei direkt vom Präsidenten gekommen und aus Gründen der nationalen Sicherheit erfolgt. Denn im Internet fänden sich immer wieder Gerüchte, die die Menschen gegeneinander aufhetzen würden und falsche Informationen über den Ablauf der Wahlen verbreiten. Otunnu im O-Ton: „Alle Rechte basieren auf einem Gleichgewicht der Wahrscheinlichkeiten. Wenn die Gefahr droht, dass ein individuelles Recht öffentliches Chaos verursacht, dann ist es immer gut, dieses individuelle Recht für das übergeordnete Wohl zu unterdrücken. In diesem Fall lag die Balance der Zweckmäßigkeit auf Seiten des öffentlichen Interesses.“ Dann holt er sein Handy aus der Hosentasche und schaut, ob sein Whatsapp wieder geht. Das tut es nicht, aber es müsste jeden Moment wieder freigeschalten werden, versichert er mir. Mehr als 24 Stunden später, geht es immer noch nicht.
Zum Ende hin sprechen wir noch über die Verbindungen des UCC mit medienbezogenen NGOs, wie ACME. Otunnu und der Gründer von ACME, Peter Mwesige, kennen sich schon seit Studienzeiten Anfang der 90er Jahre. Einige Konferenzen der Medienorganisation wurden von der UCC finanziert und insgesamt befinden sie sich in einem regen Austausch. Genaus wie mit den Rundfunkanbietern. In der National Association of Broadcasters (NAB) treffen sich diese regelmäßig mit der Regulationsbehörde und diskutieren über Probleme. „Wir wollen diese mit Diskussion und nicht Repression lösen“, meint der Beamte zum Schluss.
Insgesamt ein lockeres und angenehmes Gespräch, das natürlich die Perspektive einer medienregulierenden Behörde darstellte.
Riots und Chaos in Kampala
Als ich die Behörde verlasse, geht es in der Stadt heftig zu. Oppositionskandidat Dr. Kizza Besigye hatte angekündigt in der Zentrale der FDC alternative Wahlergebnisse zu verkünden, die ihn natürlich vor Museveni liegend zeigen würden. Auf welcher Grundlage diese Ergebnisse zustande gekommen sind, lässt sich nicht nachvollziehen. Aber soweit sollte es gar nicht kommen, denn noch vor Beginn der Pressekonferenz stürmte die Polizei und das Militär das Gebäude und lieferte sich kleinere Scharmützel in den umliegenden Straßen. Ich rufe taz-Auslandskorrespondentin Simone Schlindwein an, die vor Ort ist, und frage was los ist. Wenn ich Lust habe, könne ich vorbeikommen und im Auto mitfahren, meint sie nur und legt auf. Gesagt getan. Beim FDC-Quartier angekommen, ist schnell deutlich, dass die Hoheit bei den Sicherheitskräften liegt. Das einstöckige Gebäude ist umstellt, beziehungsweise befinden sich auch im Inneren dutzende bewaffnete Menschen. Ein zweiter Ring bildet sich aus nationalen und internationalen Journalisten, die Fotos machen und berichten, während in nur einigen dutzend Metern Entfernung Tränengas verschossen wird. Gleichzeitig hören wir Schüsse, einige meinen es seien Platzpatronen, vereinzelt ist aber auch das Surren von Kalashnikov-Geschossen zu hören. Keine angenehme Situation. Auf den Straßen patroullieren verschiedenste Arten von Sicherheitskräften, darunter auch Soldaten mit grünen Baretts, die Spezialeinheiten der Armee, angeführt von Musevenis Sohn Muhoozi. Am erschreckendsten sind aber Männer ohne Uniform, mit schwarzen T-Shirts auf schwarzen Pickups und mit schwarzen Bandanas, die wie Todesschwadronen aussehen und die niemand von den anwesenden Journalisten je gesehen hat.
Irgendwann wird die inhaftierte FDC-Führungsspitze in einem schwarzen Mini-Van mit verdunkelten Scheiben aus dem Hof gefahren. Über der ganzen Stadt ist Tränengasnebel verteilt und an den großen Kreuzungen kommt es zu mehr oder weniger kleineren Auseinandersetzungen mit den Anhängern der Opposition. Zeit für mich nach Hause zu fahren.
Hier ein weiteres Video, zusammengeschnitten aus meinen Handyaufnahmen:
Bericht der EU-Wahlbeobachtungsdelegation
Auch am heutigen Samstag gehen die Auseinandersetzungen weiter, zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels sind immer wieder Sirenen und Hubschrauber über der Stadt zu hören. In Kasese beim Queen Elizabeth Nationalpark hat die Polizei laut dem Boulevardblatt Red Pepper heute einen FDC-Demonstranten erschossen. Dabei hat die EC noch nicht einmal das offizielle Endergebnis veröffentlicht. Immerhin, 86,9% der Stimmen sind bereits ausgezählt. Museveni führt dabei mit 61,8% (5,288,074 Millionen Stimmen) vor Besigye mit 34,1% (2,920,664 Millionen Stimmen). Amama Mbabazi, ehemaliger Premierminister und Herausforderer Musevenis, dem auch größeres Potential vorhergesagt wurde, entpuppte sich als Luftnummer und krebst bei 1,47% (125,421 Stimmen) herum. Die Medien werden sich Fragen müssen, warum sie ihm so viel mehr Aufmerksamkeit gegeben haben, als den anderen sechs aussichtslosen Präsidentschaftsbewerbern.
Heute Mittag hat die Beobachterdelegation von EU und dem Europäischen Parlament einen vorläufigen Bericht zum Ablauf der Wahlen vorgestellt, der sich erstaunlich kritisch liest. Hier findet ihr eine provisorische Übersetzung des medienbezogenen Teils der Zusammenfassung des Berichts. Im Bericht selbst finden sich noch viel mehr Äußerungen zur Rolle der Medien bei diesem Wahlkampf:
„Eine kleine Anzahl offen kommerzieller Medien ermöglichten einen pluralistischen Diskurs, mit dem Höhepunkt zum ersten Mal live übertragener Präsidentendebatten. Jedoch war die gesamte Berichterstattung von Selbstzensur geprägt. Staatliche Akteure griffen in das Programm lokaler Radiostationen ein. Berichte von Vergehen gegen die Meinungsfreiheit erreichten uns aus mehr als 15 Distrikten, darunter Bedrohungen und Angriffe gegen Journalisten. Dies führte zu einer Limitierung der Bandbreite an Informationen, die die Möglichkeit der Wähler sich zu informieren, einschränkte.
Die Uganda Broadcasting Corporation (UBC) hat in ihren speziellen Pflichten als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt versagt und die rechtlich bindenden Vorschriften des gleichberechtigten Zugangs aller Präsidentschaftskandidaten nicht beachtet. Der Amtsinhaber erhielt mehr als 90% aller Berichterstattung über die Präsidentschaftskandidaten in den Hauptsendezeiten der Nachrichtenprogramme. Die Wahlkommission und die Regulationsbehörde für den Rundfunksektor äußerten sich nicht zu diesen Verletzungen.“ (S.2) Auszug aus der vorläufigen Erklärung der EU-Wahlbeobachtungsmission, die folgende Überschrift trägt: „Der Wähler-Enthusiasmus für den demokratischen Prozess verfinstert durch eine Atmosphäre der Einschüchterung und der Kontrolle der Staatsressourcen durch die herrschende Partei in Ugandas dritten Mehrparteien-Wahlen.“
Für das Wochenende habe ich mir das erste Mal nach drei Wochen wirklich Interview-frei genommen. Im Mittelpunkt steht die Beobachtung der Medien, internationaler Akteure und chillen, ja einfach nur chillen.