Gestern verkündeten die Zivilverteidigungseinheiten YPS ihren Rückzug aus der seit mehr als zwei Monaten heftig umkämpften Stadt Nusaybi an der syrischen Grenze. In einer schriftlichen Erklärung schreiben sie, dass dieser Schritt
zur „Vermeidung ziviler Opfer“ erfolge. Außerdem haben türkische Einsatzkräfte die Stadt mit Bombardements aus der Luft dem Erdboden gleich gemacht. „Unter diesen Bedingungen mussten unsere Widerstandseinheiten ihre Positionen verändern“.
Weiter erklären sie: „Zu diesem Zeitpunkt befinden sich in Nusaybin keine unserer bewaffneten Einheiten mehr. Dadurch gibt es für den AKP-Staat keine weitere Legitimation die Stadt weiter anzuzünden und zu zerstören. Jede einzelne Patrone, die jetzt vom türkischen Staat in Nusaybin verschossen wird, wird unbewaffnete Zivilisten treffen. (…) Im Alika-Viertel befinden sich Mütter und Kinder (…). Die Leben der Unbewaffneten sind in Gefahr. Wir rufen alle Menschenrechtsorganisationen, alle demokratischen Kräfte dazu auf, die Leben dieser Menschen zu beschützen und einzugreifen.“
Der Menschenrechtsverein IHD erklärte, dass derzeit Schätzungen zu Folge 20.000 Zivilisten in Nusaybin ausharren und auf Hilfe warten. Ein Teil dieser Menschen befindet sich in den Kellern ihrer durch die Gefechte eingestürzten Häuser. „Die Ausgangssperre muss sofort aufgehoben werden, damit die in den Kellern befindlichen Menschen aus der Stadt können und Menschenrechtsdelegationen und Gesundheitsorganisationen kommen können, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen“, forderte der IHD.
Die HDP-Ko-Vorsitzende Figen Yüksekda? erklärte auf einer Kundgebung in der kurdischen Stadt A?r?: „Die eingesperrten Menschen müssen sofort in sichere Gebiete gebracht werden. Ich rufe die ganze Öffentlichkeit in der Türkei auf: Lasst uns ein weiteres Cizre-Massaker verhindern.“ Im Frühjahr dieses Jahres hatten türkische Spezialkräfte mehr als 150 Menschen, die in der umkämpften Stadt Cizre in Kellern Zuflucht fanden, ermordet und teilweise bei lebendigem Leibe verbbrannt. Die Vereinten Nationen forderten deshalb Anfang Mai von der Türkei, endlich eine unabhängige Untersuchung der Massaker zuzulassen.
Wie die türkische Armee mit Zivilisten in Nusaybin umgeht, machte ein gestern von der kurdischen Nachrichtenagentur DIHA veröffentlichtes Bild aus der Stadt deutlich:
Darauf ist zu sehen, wie eine Reihe von unbewaffneten Jugendlichen sich in erniedrigender Weise vor den Soldaten in einer Reihe auf den Boden legen müssen. Danach mussten sie sich, laut DIHA, einzeln bis auf die Unterhose ausziehen und wurden dann abgeführt, um auf eine Polizeiwache gebracht zu werden. Was nun mit ihnen passiert, welcher Folter sie ausgesetzt sind, ist unklar.
Rassistische Twitter-Accounts vom Staat betrieben?
In den Augen des türkischen Staates ist jeder Mensch, der sich noch in Nusaybin befindet ein Terrorist. Der faschistische Twitter Account Terör Gercekleri erklärte zu dem Bild bedauernd, dass in Nusaybin „44 PKK-Terroristen leider lebendig gefasst wurden“. Diesem Twitter-Account folgen 182.000 Menschen. Sie werden oft von Angehörigen des Staates oder von Spezialeinheiten betrieben und sind eine wichtige Quelle für türkische Faschisten. Erst vor zwei Tagen kam heraus, dass ein weiterer rassistischer Twitter-Account namens pöhjöh mit großer Wahrscheinlichkeit vom, durch den Staat eingesetzten, Landrat des Beytü??ebap-Bezirks, Kadir Güntepe, betreut wird. PÖH und JÖH sind Abkürzungen für paramilitärische Spezialeinheiten der Polizei und Gendarmerie, in denen Vermutungen zu Folge auch islamistische Kämpfer aus Syrien eingesetzt werden sollen.