1-2. Tag Farkha-Festival: Willkommen im Land der Mauern und Zäune

Nach einem Jahr Pause geht es dieses Jahr wieder nach Palästina, zum 23. Farkha-Festival der Jugend der Palestinian Peoples Party. Zuletzt war ich 2014 während des letzten Gaza-Krieges dort.2016-07-31 13.23.10 Dieses Mal ist die Situation etwas entspannter, auch wenn die Ungerechtigkeit und israelische Besatzung der Westbank/Gazas weiterhin von Tag zu Tag andauern*. Die Einreise am Ben Gurion-Flughafen geht im Vergleich zu den Vorjahren, als wir bis zu 8 Stunden befragt und festgehalten wurden, richtig schnell. Gleich zu Beginn sage ich dem israelischen Sicherheitsbeamten offen, dass ich am 23. Farkha-Festival teilnehmen werde, wie schon drei Mal zuvor, und sie doch sicherlich meine Daten dazu gespeichert hätten. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen nickt der Beamte und sagt: „Ok, you can go.“
Das Farkha-Festival findet bereits seit 1990 statt. Organisiert wird es von Baker, einem führenden Mitglied der früheren kommunistischen Partei, die sich nach 1989 in PPP, Palästinensische Volkspartei, umbenannt hat. Jedes Jahr kommen Jugendliche aus ganz Palästina (außer dem Gaza-Streifen, dieser darf für so etwas nicht verlassen werden) und aus Israel zusammen, um eine Woche gemeinsam zu arbeiten, diskutieren und tanzen. Die meisten von ihnen sind in der Jugend der PPP aktiv, aber einige kommen auch, weil sie einfach nur helfen wollen und ihre FreundInnen dabei sind. Die Teilnahme am Festival ist kostenlos und über Spenden abgesichert. Auch aus Deutschland haben wir diesmal mehr als 4000€ gesammelt und den Organisatoren überwiesen.

Auf dem Weg vom Flughafen nach Ramallah springt eines sofort ins Auge: Überall sind Zäune, Barrikaden, Mauern und andere Anlagen, die Sicherheit bringen sollen. Eigentlich sind sie aber nur Ausdruck der Ungerechtigkeit auf diesem winzigen Stückchen Erde. Waffenlieferanten und Sicherheitsfirmen freuen sich, denn sie machen damit Milliarden. Den Menschen in Israel und Palästina bringen sie alles andere als Ruhe. So lange die Besatzung Israels anhält, wird es nie absolute Sicherheit geben. Sie ist die Ursache der Gewalt. In ihrer Verzweiflung griffen palästinensische Jugendliche in den letzten Monaten zu Messern und Pistolen und versuchten Besatzungssoldaten und teilweise einfache Menschen anzugreifen. Angriffe auf Zivilisten sind zu verurteilen, dass ist klar**. Aber hier sorgt ein Blick auf die Zahlen für eine Einordnung in die Gesamtsituation: Seit Februar letzten Jahres sind 217 Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern getötet worden, darunter 30 Israelis durch palästinensische Angriffe. 22 davon waren Soldaten oder Siedler in der Westbank. Im gleichen Zeitraum wurden 187 Palästinenser getötet, davon 159 in der Westbank und 28 im Gaza-Streifen***. Klar bringt ein gegeneinander Aufrechnen der Zahlen nichts. Jeder getötete Mensch ist einer zu viel. Es macht allerdings deutlich, wie die Machtverhältnisse sind und wer aus einer Position der (militärischen) Stärke heraus agiert. Mehr Mauern, mehr Zäune auf israelischer Seite werden Angriffe übrigens auch in Zukunft nicht verhindern können, nur ein gerechter Frieden zwischen Israelis und Palästinensern und ein Ende der Besatzung kann dies.

Am ersten Tag des Festivals wird schnell deutlich, dass so viele Jugendliche wie dieses Jahr schon lange nicht mehr teilgenommen haben. Mehr als 150 Frauen und Männer, Mädchen und Jungs, sind gekommen. Die Begrüßung untereinander ist enthusiastisch, teilweise kennt man sich schon seit Jahren. Besonders freue ich mich einen jungen Genossen zu sehen, der die letzten beiden Jahre in israelischen Gefängnissen verbracht hat, da er auf einer Demonstration Soldaten mit Molotow-Cocktails beworfen haben soll. Auch aus Spanien und Deutschland sind Freiwillige da. Die Kommunistische Jugend Spaniens ist mit ihrem Vorsitzenden und vier weiteren GenossInnen präsent. Aus Deutschland sind wir zwei Münchner DKPler, einer davon auch Mitglied in der marxistischen linken, und einem Genossen der Linkspartei aus Bremen da. Am späten Abend tauchen plötzlich zwölf BerlinerInnen auf dem Festival-Gelände auf. Sie sind Teil eines sozialpädagogischen Projekts namens „Outreach meets Palestine“, das Jugendliche aus seit 1948 vertriebenen Familien mit ihren palästinensischen Wurzeln bekanntmachen soll.

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Nur Männer, die eine YPJ-Fahne halten? Schon etwas ein Widerspruch. Aber auch die Genossinnen waren Feuer und Flamme für die Fahne.

Noch vor der Eröffnung des Festivals packen wir die Fahne der Frauenverteidigungseinheiten in Rojava, YPJ, aus. Wir haben sie als Zeichen der Solidarität zwischen dem Freiheitskampf der kurdischen und palästinensischen Bevölkerung und ihrer fortschrittlichen Organisationen mitgenommen. Viele GenossInnen wissen sofort, um was es sich handelt. Sie verfolgen die Entwicklung in Rojava aufmerksam und für sie sind die YPG/YPJ, aber auch die PKK, ein Vorbild im Kampf gegen die Besatzung. Die beiden Befreiungsbewegungen verbindet eine lange Geschichte. Die ersten PKK-Kämpfer fielen 1982, als Israel den Libanon besetzte. Duran Kalkan, türkischer Gründungskader und Mitglied im Vorstand der Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK) gab dem Kurdistan Report im Sommer 2015 dazu ein lesenswertes Interview. Unter anderem sagte er darin: „Wir haben als Bewegung in dieser Phase einiges vom palästinensischen Widerstand mitgenommen. (…) Wir haben den palästinensischen Widerstand genossenschaftlich und geschwisterlich unterstützt. Wir haben die Geschwisterlichkeit zwischen der palästinensischen und der kurdischen Gesellschaft auf dieser Grundlage aufgebaut. Wir haben vieles von den Palästinensern mitgenommen und bewerten dies immer noch mit Respekt. Wir erklären immer mit Stolz, dass die Guerilla Kurdistans sich innerhalb der palästinensischen Erfahrung entwickelt hat. Wir sind überzeugt, dass wir dem palästinensischen und den arabischen Völkern mit diesem Widerstand auch vieles zurückgegeben haben und sie das auch so sehen. Wir verfolgen immer noch die Situation und den Widerstand der palästinensischen Gesellschaft und sehen den Kampf als unseren eigenen. Wir wollen, dass die palästinensische Frage auf demokratischer Ebene gelöst wird und die arabische und jüdische Bevölkerung geschwisterlich zusammenleben.“
Das Programm des Festivals ist wieder voll mit unterschiedlichsten Aktivitäten. Im Mittelpunkt steht die Freiwilligenarbeit von 8 Uhr morgen bis 12:30 Uhr mittags. Dieses Jahr bauen wir unter anderem an einem ökologischen Garten außerhalb des Dorfes. Baker, der Festivalorganisator, ist Anfang Juli extra nach Portugal in eine ökologische Kommune mit 200 Mitgliedern gereist, um dort zu lernen, wie sich biologischer Anbau effektiv umsetzen lässt. Das Ziel ist Farkha zum ersten Dorf Palästinas zu machen, das komplett auf ökologischen Anbau umgestellt hat. Der hohe Organisierungsgrad der Bewohner, darunter sehr viele Kommunisten, in verschiedenen Kooperativen wird diese Umstellung erleichtern, da die Planung dadurch erleichtert wird. In Keimzellen findet sich hier schon eine solidarische Gesellschaft, jenseits individueller Profitinteressen. Auf dem Programm steht außerdem eine Fahrt zu palästinensischen Beduinen ins Jordan-Tal und ein Marathon in die nächstgelegene Stadt Salfit, die früher aufgrund der guten Wahlergebnisse für die Kommunistische Partei, Klein-Moskau genannt wurde. Auch ins Schwimmbad geht es natürlich wieder. Auf meinen Vorschlag hin, wird es auch einen Bildungsabend zum Thema „Kampf der kurdischen Freiheitsbewegung“ geben. Einen solchen hatten wir bereits auf dem Festival 2013 umgesetzt. Damals stieß er auf großes Interesse.

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Bei der Eröffnung des Festivals am 31.07.16.

Während diese Zeilen geschrieben werden, befinden wir uns mitten im zweiten Tag des Festivals. Wir sind gerade von den Öko-Feldern gekommen. Dort haben wir lange 30 Zentimeter tiefe, 1 Meter breite und mehrere Meter lange Gräben mit Schaufeln ausgehoben. Diese werden mit Stroh ausgelegt, wieder zugeschüttet und dienen dann als Grundlage für die biologische Bepflanzung. Da es jetzt gleich mit einer Diskussionsrunde zu Feminismus in Palästina weitergeht und danach ein Kulturabend ansteht, beende ich diesen ersten Bericht hier.
Zum Abschluss noch ein kurzer Auszug aus einem Tagebucheintrag aus dem Jahr 2011, als ich einige wenige Zeilen über die palästinensische Linke und die Positionen der PPP geschrieben hatte. Diese sind auch heute noch aktuell und dürften etwas zum Grundwissen über die Situation vor Ort beitragen: „Nennenswerte linke Gruppen sind folgende: Die PPP mit ca. 10.000 Mitgliedern, die DFLP (Demokratische Front zur Befreiung Palästinas) mit ca. 5000 Mitgliedern und die PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas) mit ca. 20.000 Mitgliedern. Die PFLP unterhält aktive bewaffnete Kämpfer. Laut PPP ist Israel in den letzten Jahren aufgrund von vorgeschobenen ‚Sicherheitsinteressen‘ nach und nach und ohne Widerspruch seitens der USA aus dem Osloer Prozess ausgestiegen. Die PPP will erst mit Israel verhandeln, nachdem das prinzipielle Rückkehrrecht der Flüchtlinge akzeptiert wurde, was nicht einfach bedeutet, dass diese Millionen von Menschen zurückkehren werden (dafür ist das Land faktisch zu klein), allerdings muss das grundsätzliche Recht vorhanden sein. Außerdem müssen die Besatzung und die Siedlungen aufgegeben werden, bevor es zu Verhandlungen kommen kann. Voraussetzung vor allem anderen ist aber die palästinensische Einheit. Bevor diese nicht wieder erreicht ist, können keine weiteren Schritte getan werden. Das diesjährige Abkommen zwischen Hamas und Fatah wird nicht sehr positiv eingeschätzt, da es nur auf dem Papier stehe und es letztlich den beiden Parteien nur um Postengeschachere gehe und nicht um die palästinensische Einheit selbst.“****

Hier noch ein Video des Farkha-Festivals 2015, an dem ich leider nicht teilnehmen konnte, das aber sehr gut beschreibt, was hier so passiert:

Der Artikel ist in Kürze auch auf www.kommunisten.de zu finden.

Anmerkungen:
* Ja, auch Gazza, als weltweit größtes Freiluftgefängnis, das von der Außenwelt so gut wie abgeschnitten ist, steht unter einer Form der Besatzung.
** Man kann sich darüber streiten, ob BesatzungssiedlerInnen Zivilisten sind oder nicht. Sie sind alle bis an die Zähne bewaffnet und haben so gut wie alle eine jahrelange militärische Ausbildung hinter sich. Zudem sehen sie sich fast alle als Teil eines expansionistischen Kolonialisierungsprojekts an. Ausgenommen davon sind Menschen, die aufgrund der Steuer- und Wohnungspolitik des israelischen Staates und ihrer Armut dazu gedrängt werden, auf günstigen Wohnraum in den Siedlungen auszuweichen. Die Welt ist nicht schwarz-weiß.
Und: Auch Israelis haben in den letzten Monaten versucht palästinensische Zivilisten mit Messern abzustechen
*** Quelle
**** Der komplette Tagebucheintrag kann hier nachgelesen werden