Internationale Solidarität, Swimmingpool und Sajal in Kufer Ain (Tag 4 & 5)

Tag 4: der Nachmittag

Der Koffer einer kurdischen Genossin, die gestern aus München über Tel Aviv angereist war, ging auf ihrem Flug mit Zwischenstopp in der Ukraine verloren. Er traf erst heute Vormittag am Ben Gurion-Flughafen Tel Aviv ein und sollte nun gebracht werden. An sich keine schwierige Sache, mag man meinen. Farkha liegt nur etwa 50km von Tel Aviv entfernt, bei klarem Wetter sieht man die Silhouette der Großstadt in der Ferne. In Farkha  gibt es feste Häuser mit Adressen, viele unserer Genoss*innen wohnen hier – kein Problem eine konkrete Adresse zu nennen, von israelischer Seite aus die Checkpoints in die Westbank zu passieren ist kein Problem, zurück ebenfalls nicht – insofern man einen israelischen Pass oder eine Residence Card besitzt. Allerdings wurde der Genossin im Telefonat mit der zuständigen Flughafenmitarbeiterin unmissverständlich klar gemacht, dass in die Westbank keine Koffer gebracht würden. Uns fällt spontan die israelische Siedlung Ariel ein, die ganz in der Nähe von Farkha liegt, allerdings auch in der Westbank. Das wiederum sei überhaupt kein Problem, entgegnet die Dame am Telefon. Wir verwerfen diese Idee trotzdem schnell wieder. Einen Koffer – zunächst ohne Besitzer – mit einem Taxi in eine israelische Siedlung schicken, der dann von Palästinenser*innen (und uns, die wir bei „ihnen“ zu Gast sind) abgeholt werden soll, geht überhaupt nicht. Es bleibt das Hostel in der Jerusalemer Altstadt, in der die Genossin ihre erste Nacht verbracht hat. Der Besitzer ist sehr hilfsbereit und möchte den Koffer sehr gerne entgegennehmen. Der israelische Taxifahrer, der den Koffer in das Hostel bringen soll, ruft eine Stunde später an, er weigere sich das muslimische Viertel der Jerusalemer Altstadt zu betreten, in dem das Hostel liegt. Die kurdische Genossin macht sich zunehmend Sorgen um den Verbleib und den Zustand ihres Koffers. Er enthält einen teuren Laptop – ein Geschenk eines deutschen für einen palästinensischen Genossen. Spontan fällt uns ein Genosse ein, der in Beit Hanina, Ost-Jerusalem lebt. Mürrisch willigt der Taxifahrer ein. Wir sind verwundert, haben damit gar nicht mehr gerechnet. Beit Hanina ist ein Vorort von Jerusalem, in dem nur Palästinenser*innen leben. Morgen wird der Genosse den Koffer selbst nach Farkha zu uns auf’s Festivalgelände bringen. Geschafft!

Auf dem Weg zur Freiwilligenarbeit.

Am späten Nachmittag des vierten Festivaltages findet eine große öffentliche Veranstaltung mit dem Titel „Internationale Solidarität mit dem palästinensischen Volk“ statt, zu der neben älteren PPP-Genoss*innen und uns „Volunteers“ als feste Teilnehmer*innen des Festivals, auch die Menschen aus der näheren und ferneren Umgebung und israelische Kommunist*innen eingeladen sind. Der erste Teil der Veranstaltung sollte eigentlich beginnen mit einer Rede von Maher Taha, dem venezolanischen Botschafter in Palästina, der sich aber aufgrund eines Trauerfalles in der Familie entschuldigen ließ. Viele Jahre war er, dessen Familie selbst palästinensische Wurzeln hat, auch „Volunteer“ des Farkha-Festivals und arbeite mit bei der Anlegung von Gartenterrassen und der Instandhaltung und Renovierung von öffentlichen Gebäuden und Plätzen des Dorfes. Die venezolanische Fahne hängt an prominenter Stelle auf dem Festivalgelände. Das bedeutet den Menschen viel. Der erste Redner ist stattdessen Ibrahim El Balawi, der Gouverneur der Region Salfit, in dem auch das Dorf Farkha liegt. Nach den üblichen Danksagungen und Grußworten für die Veranstalter*innen und Hauptverantwortlichen des Festivals liegen ihm zwei Themen sehr am Herzen. Zum einen ist es ihm ein großes Anliegen, die Wichtigkeit dieses Festivals für die Umgebung und für Palästina herauszustellen. Es gebe den Menschen Mut und Zuversicht, die hier leben und ihren Alltag bestreiten mit all den Widrigkeiten und Einschränkungen ihrer Bewegungs- und Entfaltungsfreiheit (hohe Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Knappheit an Wasser, schlechte Infrastruktur, Bau der Apartheitsmauer, andauernde Enteignung von Land, zunehmender Siedlungsbau, Bedrohung durch deren zionistische Siedler*innen, Hausdurchsuchungen durch israelische Sicherheitskräfte, rassistische Erniedrigungen bei den Passkontrollen an Checkpoints – um nur einige zu nennen), die während der inzwischen 51 Jahre andauernden israelischen Besatzung – und auch schon vorher seit der Nakba im Jahr 1948 – etabliert wurden. Es sei wichtig, den Menschen Foren zu bieten, darüber zu sprechen, wie sie unter diesen restriktiven Umständen ein annähernd würdevolles Leben führen können und gemeinsam Perspektiven zu diskutieren, damit sie bleiben, die Zuversicht nicht verlieren und nicht auswandern. Der zweite wichtige Punkt ist ihm, die Wichtigkeit des Festivals für den Widerstand gegen Trumps „Deal of the Century“, der unter anderem beinhaltet, dass die „Zwei-Staaten-Lösung“ derart gestaltet werden soll, dass „Palästina“ zukünftig aus gut der Hälfte der Westbank und Gaza bestehen soll. Es wäre kein zusammenhängender Staat, sondern vielmehr mehrere unzusammenhängende Kantone. Alle israelischen Siedlungen sollen bestehen bleiben, sowie Jerusalem Israels Hauptstadt sein. Die Verlegung der US-amerikanischen Botschaft war ein erster großer Schritt in diese Richtung. In der UN-Resolution 194 vom Jahr 1948 ist jedoch das Recht der Palästinenser*innen auf Rückkehr festgeschrieben, was beinhaltet, dass es denjenigen Flüchtlingen, die in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen, zum nächstmöglichen Zeitpunkt gestattet werden soll, in ihre Wohnstätten zurückzukehren. Allen anderen soll auf Grundlage des internationalen Rechts von den zuständigen Regierungen und Behörden Entschädigung gezahlt werden für den Verlust und die Beschädigung ihres Eigentums. Mit Trumps „Friedenslösung“ wäre diese Resolution hinfällig. Palästinenser*innen im Ausland und in den zahlreichen Flüchtlingscamps in der Westbank und in Gaza wären in der Folge keine „Flüchtlinge“ mehr, was zur Folge hätte, dass die UNRWA, die „United Nations Relief and Work Agency for Palestine Refugees in the Near East“, die  unzählige Flüchtlingscamps, medizinische Einrichtungen und Schulen auch in der Westbank und in Gaza betreibt, keine Existenzberechtigung mehr hätte. Für alle palästinensischen Parteien und politischen Organisationen ist dieser Trump-Deal inakzeptabel – zumindest darin sind sie sich einig. Das Farkha-Festival sei auch in dieser Hinsicht ein wichtiges Zeichen des Widerstandes des Palästinensischen Volkes, so El Balawi.

Es folgen Grußworte von Ihab Ibseeso, dem Kulturminister der palästinensischen Autonomiebehörde, sowie von Talal El Shareef, dem Bürgermeister von Farkha. Zwischen den Redebeiträgen spielt eine Musikgruppe traditionelle Lieder des palästinensischen Widerstandes – unterbrochen von lauten „Es lebe die kommunistische Jugend“-Rufen der palästinensischen Volunteers. Alle singen die Texte mit, Palästina- und Parteifahnen werden geschwenkt. In den Texten der Lieder geht es um das Recht auf Rückkehr, um die Geflüchteten, um Revolution und Widerstand. „Ich schreibe den Namen meines Landes auf die Sonne, die nie untergeht“- übersetzt mir ein Genosse eine Liedzeile.

Der zweite Teil der Veranstaltung ist Felicia Langer gewidmet – es soll ganz bewusst keine Trauerfeier werden, sondern eine Würdigung ihres Kampfes für das palästinensische Volk. Felicia Langer (*9. Dezember 1930 in Tarnow, Polen + 22.Juni 2018 in Eningen unter Achalm, Deutschland) war eine deutsch-israelische Rechtsanwältin, Autorin und Menschenrechtsaktivistin. In Polen geboren wanderte sie mit ihrem Mann als Überlebende des Holocaust nach Israel aus, studierte dort Rechtswissenschaften an der Hebrew University Jerusalem und eröffnete eine eigene Kanzlei. Seit dem Eroberungskrieg im Jahr 1967 in Folge dessen Israel die Westbank und Gaza besetzte,  verteidigte sie als erste israelische Anwältin Palästinenser*innen vor israelischen Militärgerichten.  Allerdings entzog das israelische Verteidigungsministerium ihr bald – aus „Sicherheitsgründen“ – die Lizenz zum Verteidigen von Palästinenser*innen und die zur Verteidigung von Kriegsdienstverweigerer*innen unter israelischen Soldat*innen. Sie gehörte der palästinensischen Neuen Kommunistischen Liste (Rakach) an und war Vizepräsidentin der israelischen Liga für Menschenrechte. Im Jahr 1990 verließ sie dann mit ihrem Mann Israel aufgrund der zunehmenden Restriktionen gegen ihre Person, zog nach Tübingen und nahm die deutsche Staatsangehörigkeit an. In ihren Schriften, Vorträgen und Interviews kritisierte sie bis zuletzt Israels Politik, insbesondere den Siedlungsbau und forderte den vollständigen bedingungslosen Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten und das Rückkehrrecht für jeden Nachkommen der palästinensischen Flüchtlinge. Zudem  bezeichnete sie Israel als Apartheitsstaat. Es gibt zwei Reden zur Würdigung ihrer Person und ihres Wirkens für das palästinensische Volk. Beide Redner hat sie selbst auch verteidigt, als sie als Angeklagte vor einem israelischen Gericht standen. Der erster Redner ist Adnan Daghir, der Leiter der PPP in Ramallah. Er würdigt sie als Person, die Kommunist*innen juristisch unterstützt und sie oftmals aus der Haft freigehandelt hat. Er prangert in seiner eindringlichen Rede vor allem die juristische Grundlage und Praxis der Administrativhaft an, die es israelischen Sicherheitsbehörden gestattet nur auf Grundlage von Verdachtsmomenten Menschen, in der Praxis fast ausschließlich Palästinenser*innen, jahrelang festzusetzen, ohne dass ein Urteil nötig ist und die Dauer des Gefängnisaufenthaltes völliger Willkür unterliegt. Der zweite Redner ist Issam Arourie, Leiter  des Jerusalem Zentrums für Menschenrechte. Seine Worte: Felicia Langer, „unsere jüdische Genossin, hat den Kampf gegen die rassistische Politik des Staates Israel begonnen und wir führen diesen Kampf weiter. Auf dass Rassismus keinen Platz mehr hat auf diesem Planeten.“

Tag 5:

Temporäre Ausstellung im „Palestinian Museum“.

Heute haben wir „frei“, es wird nicht gearbeitet, es soll ein Tag der Entspannung und der Erholung von der harten Arbeit der letzten Tage sein. Aus der Erfahrung der letzten Jahre Farkha Festival wissen wir allerdings, dass die Vorstellungen darüber, was Entspannung ist, durchaus weit auseinanderliegen können. Für unsere „europäischen Nerven“ stellt gerade dieser alljährliche Ausflugstag eine hohe Belastung dar, wenn auch eine unglaublich schöne und eindringliche, auf die niemand verzichten möchte. Wir werden nach dem Frühstück, das wie jeden Morgen aus Mana’isch (kleine pizzaähnliche Fladen, die mit Öl und Zaatr, einer Thymian-Sesam Mischung, und/oder mit Tomatensoße beträufelt sind) von zwei Reisebussen abgeholt. Der erste Stopp ist das erst vor kurzem eröffnete „Palestinian Museum“ in Birzeit, ganz in der Nähe der Birzeit-Universität, Ramallah. Das Thema der momentanen Ausstellung ist „Labour of Love. New Approaches to Palestinian Embroidery“. Die Ausstellung erzählt die Geschichte der traditionellen palästinensischen Stickerei auf Kleidern, Umhängen, Mänteln und Tüchern unter einem neuen Fokus. „Labour of Love explores Palestinian embroidery through the lenses of gender, labour, commodity, and class, tracing its shifts from a personal practice, to a potent symbol of national heritage, to a product circulated in the global marketplace. (…) At a time of heightened global conversations around women’s rights and dominion over their bodies, the exhibition is invested in understanding embroidery’s role in the construction of ideals and images of womanhood in historic and contemporary Palestine, and in amplifying female voices” (zitiert aus der Ausstellungsankündigung vor Ort). Wir sind beeindruckt von der Schönheit und Anmut der unzähligen historischen Gewänder, wahren Kunstwerken.

Ein Blick auf das „Palestinian Museum“

Der nächste Stopp ist ein Schwimmbad. Hier sollen wir uns nun endlich wirklich erholen. Es gibt zwei Becken, eines für Männer und eines für Frauen. Um das Becken der Männer ist ein Garten angelegt mit unzähligen Plastikstühlen und -tischen, auf denen wir uns niederlassen. Es gibt einen Kiosk der Eis und kühle Getränke verkauft. Das Becken der Frauen ist blickdicht abgeschirmt mit Mauern drumherum, einem verdeckten Eingang und verhängten sehr hohen Zäunen. Etwas unsicher, betreten wir den Frauenbereich – nachdem wir für 5 Schekel noch eine Badekappe kaufen mussten. Es geht hierbei um Hygiene, nicht um die Verdeckung weiblicher Reize. Im Frauenbereich ist viel erlaubt, Bikini, Rauchen, Essen, Trinken – nur  Fotografieren nicht. Es gibt laute Musik und das Wasser ist stark gechlort, aber angenehm kühl. Auch Frauen, die Hijab tragen sollen sich hier sicher vor Männerblicken frei bewegen und sich amüsieren können. Nach der ersten Irritation fühlen wir uns schnell wohl in dieser Frauenwelt, planschen wild herum und lachen viel über uns mit unseren komischen Badekappen.

Während der Ehrung der Absolvent*innen im Schwimmbad.

Im Anschluss an das Baden gibt es Mittagessen, das vom Festival-Gelände extra für uns hierher gebracht wurde, inklusive Lautsprecher und Mikrophon. Es gibt eine Zeremonie für diejenigen unter den jungen Genoss*innen, die im letzten Jahr die Schule erfolgreich abgeschlossen haben. Bakr Hammad, der Leiter des Festivals, hält eine rührende Rede voller Anerkennung. Es gibt laute Musik, es wird getanzt und geklatscht. Eine kleine Gruppe PPP-Genoss*innen verlassen uns früher und fahren zu einer Demo nach Ramallah, nicht gegen die israelische Besatzung, sondern gegen die palästinensischen Autonomiebehörden. Im Nachhinein erfahren wir, dass während der Demonstration 20 Personen festgenommen wurden. Es seien aber zu wenige Menschen da gewesen, etwa 150 Demonstrant*innen, berichten uns die Genoss*innen.

Pu der Bär ist auch gegen die Besatzung Palästinas.

Gegen vier Uhr nachmittags geht es weiter mit den Bussen nach Kufer Ain, mit etwa 3000 Einwohner*innen, einem Nachbardorf von Farkha. Auf der Busfahrt schallt unglaublich laute Musik durch die Lautsprecher, die auch bessere Zeiten „gehört“ haben. Viele stehen auf, klatschen, tanzen, singen mit. Es ist heiß im Bus, trotz des klimaanlagenähnlichen Gebläses. Wir fahren vorbei an drei relativ kleinen, noch recht provisorischen israelischen Siedlungen – einstöckige einfache Häuser umgeben von hohem Stacheldrahtzaun, viele Israelfahnen, einem kleinen Spielplatz mit Spielgeräten und israelischen Soldat*innen als „Grenzposten“ im Eingangsbereich. Als wir in Kufer Ain (Ain bedeutet im übrigen „Auge“ und „Quelle“) ankommen, ist uns zunächst unklar, was hier passieren soll. Im Programm steht nur „Heritage Festival“. Wir werden zu einer Mädchenschule gebracht, in der sie nach zwölf Schuljahren die Hochschulreife erreichen können. Wir erfahren auch, dass es im Vorfeld unseres Besuches einen „Besuch“ des israelischen Militärs gegeben hätte. Es kursiert das Gerücht, dass die Soldat*innen kamen, um den Strom zu kappen, um das Festival zu unterbinden. Ein Dorfbewohner lacht darüber nur, als wir ihm erzählen, was wir gehört hätten, „Glaubst du, die müssen dafür ins Dorf kommen, um uns den Strom abzustellen?“. Nein, sie wären gekommen, um jemanden festzunehmen. Es werden unzählige graue Plastikstühle auf Anhängern, eine Musikanlage, sowie ein Keyboard gebracht. Wir helfen beim Aufbau. Es kommen nun auch nach und nach viele Leute, Kinder, Frauen, Männer als Besucher*innen der Veranstaltung. Darunter sind auch Bewohner*innen des Dorfes Nabi Saleh, ein Nachbardorf mit etwa 600 Einwohner*innen. Es ist bekannt für seine seit 2009 bestehenden wöchentlichen Proteste gegen die israelische Besatzung, in denen es ganz konkret gegen die Konfiszierung von Land und ihrer Wasserquelle/ ihres Brunnens und der dazu gehörigen Badehöhle durch die Bewohner*innen der israelischen Siedlung Halamish geht. Es ist auch das Dorf, aus dem Ahed Tamimi stammt. Ahed Tamimi ist 17 Jahre alt und Aktivistin gegen die israelische Besatzung. Sie wurde im März 2018 zu einer achtmonatigen Haftstrafe verurteilt. Ihre Geschichte ist nicht zuletzt über die sozialen Netzwerke bis hin zur palästinensischen Community in Deutschland und weltweit sehr bekannt – es gibt auf vielen palästinensischen Veranstaltungen bedruckte Solidaritäts-T-Shirts mit „Free Ahed Tamimi“ und Banner auf Demonstrationen mit ihrem Namen. Sie soll am kommenden Sonntag frühzeitig entlassen werden. Angeklagt wurde sie, weil sie zusammen mit anderen Frauen einen israelischen Soldaten geschlagen haben soll, als dieser zurückbleiben sollte, um nach einer Demonstration und im Anschluss an einen Hausdurchsuchung vor ihrem Haus zu patrouillieren. Um uns herum sitzen viele Kinder und Jugendliche, darunter auch der Cousin von Ahed. Er erzählt uns, dass es zu ihrer Freilassung ein großes Fest geben wird, zu dem wir herzlich eingeladen sind. Ahed wird eine Rede halten. Alle fiebern ihrer Entlassung entgegen. Ein etwa neun- oder höchstens zehn-jähriges Mädchen kommt alleine auf uns zu, fragt uns, wer wir seien. Sie wirkt mutig und taff, wie sie ganz ohne Scheu, direkt und klar mit uns spricht. Eigentlich zu taff für ihr Alter. Sie sei eine Verwandte von Ahed, erzählt sie uns. Gestern hätten israelische Soldat*innen ihr Haus durchsucht, um ihren Onkel festzunehmen. Der sei aber nicht zu Hause gewesen. Ein Soldat hätte bei der Durchsuchung seine Waffe auf sie gerichtet. Als er sich später hingekniet hätte, habe sie ihm eine Ohrfeige gegeben. Sie habe keine Angst vor denen, antwortet sie auf unsere Nachfrage, auch wenn „die“ zu Hunderten vor ihr stehen würde, hätte sie keine Angst. Sie bleibt den ganzen Abend in unserer Nähe, fragt uns aus, wir lachen zusammen, machen Hände-Klatschspiele mit ihr.

Das diesjährige Heritage Festival in Kufer Ain ist einem alten palästinensischen Sänger, Hamoudeh El Farkhawee, und einen alten kommunistischen Guerillakämpfer, Khader El Alem,  gewidmet. Den Auftakt bilden Sajal-Gesänge, ein palästinensischer Improvisationsgesang. Eine alte Tradition der Dichtkunst, die immer mehr in Vergessenheit gerät. Es folgt  Deheye, ein alter traditioneller Gruppentanz. Danach tritt eine Dabke Gruppe auf. Am Schluss der Veranstaltung bekommen zwölf Eltern Auszeichnungen, deren Kinder in den letzten Jahren vom israelischen Militär ermordet worden sind – Tafeln der Anerkennung ihres Schmerzes und ihres Mutes zu widerstehen und sich dennoch nicht vertreiben zu lassen, nicht aufzugeben.

Zurück auf dem Festivalgelände gibt es Abendessen – gegen 23 Uhr. Wir fallen todmüde und erschöpft ins Bett. Wir freuen uns auf Entspannung morgen – in brütender Hitze Steine schleppen und Terrassen anlegen im Ökogarten von Farkha.

 

Autorin: Grete Erckmann

Bilder: Grete Erckmann / Kerem Schamberger