Solidarität aus Israel und Fragen der Umwelt (Tag 6 & 7)

Am Donnerstag sind in Farkha Führungspersönlichkeiten der Kommunistischen Partei Israels (IKP) zu Besuch, darunter ihr Vorsitzender Adil Amer und Mohammed Barakeh, der bis 2015 in der Knesset, dem israelischen Parlament saß. Wir diskutieren aufgeregt über die neuesten Entwicklungen in Israel und Palästina. Die Diskussion dreht sich vor Allem um das neue Nationalitätengesetz, bei dem die jüdische Hegemonie in Israel, die seit langem Praxis ist, nachträglich juristisch legitimiert wird. Palästinenser*innen waren seit Gründung des Staates Israel Rassismus und Unterdrückung ausgesetzt, seitdem das Gesetz in Kraft getreten ist, sind sie nun auch offiziell Bürger zweiter Klasse. Doch das Gesetz ist nicht nur rassistisch, sondern eine Kriegserklärung an alle säkularen und fortschrittlichen Kräfte, egal ob mit arabischem oder jüdischem Hintergrund. Die IKP will in den nächsten Wochen und Monaten eine halbe Million Stimmen gegen das Gesetz sammeln und in vielen Städten Demos organisieren.

Adel Amer bei seiner Rede.

Heiß diskutiert wird auch die Frage nach der Vereinigung linker Kräfte in Palästina – die palästinensische Linke ist in vier Parteien gespalten. Doch nicht nur die Spaltung der linken Kräfte sei ein Problem, macht Mohammed Barakeh klar, ein riesiges Problem sei auch, dass die Palästinenser*innen nicht mit einer Stimme sprächen. Die Schuld dafür sieht er dabei vor Allem bei den korrupten Eliten der „sozialdemokratischen“ Fatah und der islamistischen Hamas, welche den Gazastreifen kontrolliert. Die beiden Parteien seien nur auf Posten und Geld aus und bekämpften sich lieber gegenseitig als etwas für die palästinensische Bevölkerung zu tun.

Aktuell zeigt sich das an den Sanktionen, die die Fatah gegen die Herrschenden der Hamas im Gazastreifen verhängt hat, die aber viel weniger die Hamas treffen als die Zivilbevölkerung. Vor einigen Wochen hat die Fatah ihren Anhängern, die im Gazastreifen in der öffentlichen Verwaltung arbeiten, befohlen, die Arbeit niederzulegen um die Hamas zu schwächen. Die ohnehin schwache und stark von Israel abhängige Wirtschaft im Gazastreifen ist daraufhin zusammengebrochen, die Krankenhäuser funktionieren noch schlechter als sonst und die krasse Armut eines großen Teiles der Menschen in Gaza verschärft sich zusehends.

Seit dem Ende des Ramadan gehen auch im Westjordanland immer wieder tausende Menschen gegen die Politik der Palästinensischen Autonomiebehörden auf die Straße, die Demonstrationen werden vor Allem von linken Kräften angeführt, auch die PPP ist federführend mit dabei. Auch in Ramallah, nicht weit von Farkha, kam es in den letzten Wochen immer wieder zu wütenden Protesten. „Erst waren es ein paar hundert, dann tausende Menschen“, erklärt PPP-Genossin Hadeel Shatara im Gespräch. Die Demos haben sich von einem Widerstand gegen das Leiden in Gaza zu einem allgemeinen Protest gegen die Fatah-Herrschaft im Westjordanland und gegen die neokoloniale Politik des israelischen Staates ausgewachsen. Doch die Proteste werden immer wieder von paramilitärischen Einheiten der Fatah angegriffen, „mehrere hundert Menschen wurden verletzt und viele eingesperrt“, berichtetet Hadeel.

Am späten Donnerstagabend montieren Genoss*innen der PPP eine Leinwand neben der Bühne, das Bild, das der Beamer auf die Leinwand wirft, zeigt neben dem Logo der PPP-Jugend auch das Symbol der YCR, der Vereinigten Jugend von Rojava/Nordsyrien, einer der aktivsten Kräfte im radikaldemokratischen Aufbruch in Nordsyrien. Die YCR hat ein Video geschickt, um ihre Genoss*innen in Farkha zu grüßen. Und auch die Internationalistische Kommune von Rojava, ein Zusammenschluss von linken Aktivist*innen die in Rojava arbeiten, hat eine Grußbotschaft geschickt, sie wird auf der Bühne verlesen. Auch Linke in Palästina verfolgen was in Nordsyrien passiert, die meisten von ihnen zeigen sich mit der dortigen Revolution solidarisch, auch wenn es einige Vorbehalte bezüglich geopolitischer Taktiken der Freiheitsbewegung von Kurdistan und Nordsyrien gibt.

In ihrer Grußbotschaft geht die Internationalistische Kommune auch auf die vielen Verbindungen zwischen Palästina und Kurdistan ein. Beide Länder eint eine lange Geschichte von kolonialistischer Besatzung, von Vertreibung und Krieg. Und beide Länder eint auch der gemeinsame Kampf gegen die neokoloniale Unterdrückung, 1982 kämpften Genoss*innen der Arbeiter*innenpartei Kurdistans (PKK) Seite an Seite mit Palästinenser*innen gegen den Einmarsch der israelischen Armee im Libanon. Die Internationalistische Kommune will an diese gemeinsame Perspektive anknüpfen, um den Begriff der internationalen Solidarität wieder mehr mit Leben zu füllen. Gerade im ökologischen Bereich sollen Verbindungen aufgebaut werden, denn die Naturzerstörung, die in Rojava und in Palästina durch nationale Regimes und imperialistische Unterdrückung befeuert wurde und wird ähnelt sich. Und so auch die Lösungsansätze, bei denen vor Allem auf Wiederaufforstung und kleinteilige ökologische Landwirtschaft gesetzt wird. Projekte wie die Ökologiekampagne „Make Rojava Green Again“ und die ökologische Landwirtschaft in Farkha sollen sich künftig gegenseitig unterstützen.

Die Terassen stehen, auch mit tatkräftiger Hilfe der internationalen Delegation.

Die neuen Gartenterrassen etwas unterhalb von Farkha nehmen langsam Gestalt an, am Freitag findet der letzte Arbeitseinsatz der Internationalist*innen in der Freiwilligenarbeit für Farkha statt – zumindest für dieses Jahr. Es ist ein kleiner Beitrag für den ökologischen Aufbruch in Palästina, der gerade erste angefangen hat. Es ist auch ein Aufbruch in den Köpfen der Menschen, die sich angesichts der schwierigen Lebensbedingungen im Westjordanland über Ökologie oft erst keine Gedanken machen können. Die Naturzerstörung in Palästina ist eng verwoben mit der Politik des israelischen Imperialismus und seinen illegalen und illegitimen Siedlungsbauten, die sich Jahr für Jahr, abgesichert durch Militär und Stromzäune immer tiefer in von Palästinenser*innen besiedeltes Land ausbreiten. Nicht dass es um die Natur ohne die Siedlungspolitik der völkisch-nationalistischen israelischen Regierung automatisch gut bestellt wäre – doch die Besatzungszonen verschlechtern die Lage zusehends.

Das zeigt sich unter anderem an der Verknappung des Wassers. Das Trinkwasser wird durch den Siedlungsbau weiter dezimiert, das Grundwasser geht weiter zurück. Mehr als 85 Prozent des Wasserverbrauchs im Westjordanland gehen auf die Siedlungen zurück, erklärt Ökologieaktivist und Mitglied der Palestinian Peoples Party (PPP), Saad Dagher.  Er hat den ökologischen und kollektiven Landbau in Farkha mit aufgebaut und ist auch regelmäßig beim Farkha-Festival dabei.

Während ein*e Palästinenser*in im Schnitt um die 70 Liter Wasser pro Tag verbraucht sind es pro Israeli rund 500. Die Zahlen stammen vom Palästinensischen Institut für Biodiversität und Nachhaltigkeit. Auch von der UN-Menschenrechtskommission wurde der Israelische Staat immer wieder für seine Wasserpolitik gerügt, doch passiert ist nichts. Im Gegenteil, die Lage verschlimmere sich immer weiter, nicht zuletzt ist es die Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen, die dazu führt, dass mehr und mehr palästinensische Familien ihre Heimat verlassen müssen, weil das Leben dort zu hart wird.

Auch in der Dorfmitte wird gearbeitet.

Und die im Westjordanland von der „sozialdemokratischen“ Fatah dominierte Palästinensische Autonomiebehörde tue viel zu wenig, um die Wasserproblematik anzugehen, schimpft Ökologieaktivist Saad Dagher. Die Fatah verspreche zwar immer wieder, dass bald alles besser werde, doch sie arbeite in Wahrheit mit dem israelischen Staat zusammen und sei zutiefst korrupt. So sieht das Ökologieaktivist Saad Dagher, und so sehen es viele Menschen in Farkha und Umgebung. Auch was die Naturzerstörung und die Wasserproblematik betrifft schafft es die Fatah-Verwaltung kaum, eine vernünftige Infrastruktur aufzubauen, Kläranlagen fehlen weitestgehend und so wird das ohnehin knappe Wasser oft stark mit Bakterien belastet. Und auch die Müllentsorgung belastet die Natur stark, entlang der Landstraßen türmen sich immer wieder Müllberge auf, oft wird er einfach verbrannt, Recyclingsysteme wurden bislang kaum aufgebaut. Das liegt aber nicht etwa daran, dass das Geld fehlt, die Autonomieregierung habe Geld, aber das stecke sie sich in die eigenen Taschen, sagen vor Allem linke Kritiker der Fatah.

Und auch die Landwirtschaft trägt einen großen Teil zu Naturzerstörung in Palästina bei, es entstehen immer mehr Monokulturen und auch der großflächige Einsatz von Pestiziden und chemischem Dünger ist ein Problem. Was die Viehzucht betrifft stehen viele Bauern vor dem Problem, dass die Weideflächen für Ziegen und Schafe durch die Militärzonen und Siedlungen des israelischen Staates immer weiter dezimiert werden. Die kleiner werdenden Flächen werden im Ergebnis immer stärker genutzt, was großflächig zu Erosion führt, auf den unzähligen Hügelketten tritt an immer mehr Stellen der blanke Fels hervor. In Farkha versucht man, Lösungen für diese Probleme zu finden und mit gutem Beispiel voranzugehen.

Drei Marxisten beim Diskutieren. Leider nur Männer.

Am Freitagabend, dem vorletzten Abend des 25. Farkha-Festivals diskutieren drei Genossen der PPP und IKP über Marxismus. Es geht um Grundlagen, um historischen Materialismus, die Produktion von Mehrwert und die Akkumulation des Kapitals. Intensiver wird die Diskussion, als es um Religion geht, die Genossen kritisieren die Rolle des Islam in der arabischen Welt. Es ist keine einfache Diskussion, gerade die Religionskritik des Marxismus schreckt viele Menschen ab und macht es für reaktionäre und islamitische Kräfte einfach, Marxist*innen zu denunzieren. Die Lösung für dieses Problem kann natürlich nicht so aussehen, dass auf Religionskritik verzichtet wird, die Frage ist aber, wie sie formuliert und in die Bevölkerung getragen wird.

Der alte Dorfkern von Farkha.

Weiter diskutierend machen wir uns, schnell, bevor die Sonne ganz untergeht noch auf, um den historischen Teil von Farkha zu besichtigen. Schon vor vielen hundert Jahren siedelten Menschen in Farkha, die ältesten Häuser die noch stehen sind rund 280 Jahre alt. Die Genoss*innen sind dabei, wenigstens einige der alten Gebäude zu erhalten, um sie vor dem Verfall zu bewahren, die meisten der alten Gebäude sind unbewohnt. Vom Dach eines der Häuser schweift der Blick Richtung Westen. Ganz am Horizont sieht man die Silhouetten der Wolkenkratzer von Tel Aviv. Davor erstrecken sich endlos scheinende Hügelketten. Es ist eine idyllische Landschaft, hier ein Dorf, dort ein Olivenhain. Doch es ist auch ein zerrissenes Land, von den Dächern von Farkha aus sieht man auch die Lichter von Landstraßen, die sich durch das Westjordanland schlängeln. Viele von ihnen dürfen von Palästinensern nicht benutzt werden, sondern nur von den jüdisch-israelischen Siedlern.

Autor: Anselm Schindler

Fotos: Kerem Schamberger