Der Weg durch die Wüste

Harouna war Arbeitsmigrant. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen arbeitete er in Libyen. Der Weg durch die Sahara-Wüste kostete ihn das Leben. Und nicht nur seines. Hamidou, sein älterer Bruder, erzählt von seinem Schicksal.

Dies sollte seine letzte Fahrt durch die Wüste sein. Er hatte genügend Geld gespart. Von Sabha in der libyschen Sahara-Wüste ging es Richtung Agadez im Niger. Den Weg war er in der Vergangenheit immer wieder gefahren, als seine Frau und seine Kinder noch im 1000 Kilometer entfernten Agadez lebten. Irgendwann hatte er sie zu sich geholt nach Sabha, wo er als Mechaniker arbeitete. Jetzt wollten sie das letzte Mal den Weg durch den Sand antreten. Das war Ende August 2017. Der Plan war, sich in Niamey, der Hauptstadt des Nigers niederzulassen. Um auf Nummer sicher zu gehen, fuhren sie in einem Konvoi los. In Harounas Auto befanden sich seine Frau und seine drei Kinder, auf der Ladefläche vier weitere Personen. Auf dem Weg überraschte sie ein Sandsturm, sie mussten stehen bleiben und der Konvoi verlor den Kontakt untereinander. Als die ersten Autos in Agadez ankamen, gab es noch keinen Grund zur Sorge. Doch als es auch nach eineinhalb Tagen kein Lebenszeichen von seinem Bruder gab, begann Hamidou sich Sorgen zu machen. Im Gespräch mit mir hält er Papiere in der Hand.

Sie starten eine Suchaktion in der Gegend des Sandsturms. Doch keine Spur von seinem Bruder, seiner Familie und dem Auto. Ohne Gewissheit zu haben, geben sie auf. Nach drei Wochen erhält Hamidou einen Anruf. Am Busbahnhof von Agadez ist ein LKW-Fahrer, der auf dem Weg durch die Wüste auf die Leiche eines jungen Mädchens im Sand gestoßen ist. Er hat ein verschwommenes Foto gemacht. Hamidou erkennt seine Nichte, die mit dem Gesicht im Sand liegt, an den langen Haaren. Doch wo genau das gewesen ist, daran kann sich der Fahrer nicht erinnern. Es sei normal in der Wüste an Leichen vorbeizufahren, sagt Hamidou. Doch mit dem Foto ist die Gewissheit da. Oder? Wo sind die anderen? Trotzdem machen sie nun eine Trauerfeier und verabschieden sich.

Vier weitere Wochen später, wird das Auto seines Bruders weit abseits der normalerweise genutzten Routen gefunden. Er muss sich im Sandsturm verirrt haben. Als Hamidou an der Unglücksstelle ankommt, ist alles wie konserviert. Das Auto springt an, fährt sogar noch. Das Benzin ist ihnen nicht ausgegangen. Im Kofferraum liegt das komplette Gepäck. Doch von der Familie seines Bruders und den vier weiteren auf der Ladefläche fehlt jede Spur. Es ist kein einziger Körper zu finden. Sie müssen das Auto verlassen haben, in der Hoffnung zu Fuß weiterzukommen.

Die Leichen sind bis heute nicht aufgetaucht. Das, was Hamidou während des Gesprächs in der Hand hält, waren die Ausweispapiere seines Bruders. Er hat sie im Wagen gefunden. Ihre Mutter habe bis zu ihrem Tod ein Jahr später bei jedem Klopfen an der Tür geglaubt, ihr Sohn Harouna komme zurück aus Libyen, aus der Wüste. Solche Tode wie der seines Bruders und der acht anderen, gebe es zu Tausenden hier in der Wüste, so Hamidou. Egal ob Geflüchtete, Menschen mit dem Ziel Europa, oder ArbeitsmigrantInnen, die in Algerien und Libyen Geld verdienen wollen, um ihr Überleben zu sichern. Solche Geschichten seien Alltag. Ich kann es nicht glauben. Und dann doch irgendwie. Doch gewöhnen darf man sich nicht daran.

Auch die AktivistInnen von Alarme Phone Sahara gewöhnen sich nicht daran. Sie stehen mit Menschen wie Hamidou in Kontakt. Sie klären auf, sensibilisieren, dokumentieren. Sie leisten Widerstand gegen das tödliche Grenzregime in der Sahara Wüste.

PS: Am Ende des Gesprächs erzählt mir Hamidou eine weitere Geschichte. Als ein Freund von ihm in der Wüste zum Kochen eine kleine Grube gräbt, die das Feuer vor dem Wind schützen soll, stößt er auf eine Metallplatte. Er gräbt weiter, die Platte wird immer größer, entpuppt sich als Dach eines Autos. Am Ende entdecken sie ein komplett vom Sand zugewehtes Auto. Darin und außen herum 17 komplett mumifizierte Leichen. Vermutlich von ArbeitsmigrantInnen. Aber genau weiß es niemand.

 

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