Klimaschutz statt Grenzschutz

Rede auf der Demonstration von Fridays for Future „Klimaschutz statt Grenzschutz“ am 7.7.23 in München

(C) Levent Cokdegerli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Liebe MitstreiterInnen, liebe FreundInnen,

es freut mich, dass ich heute zu euch sprechen darf. Mein Name ist Kerem Schamberger und ich arbeite bei der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international als Referent für Flucht und Migration. Wir arbeiten mit sozialen Bewegungen und kritischer Zivilgesellschaft in vielen Ländern des globalen Südens. In Ländern, in denen die Klimakatastrophe keine Zukunftsmusik mehr ist, sondern schon längst brutale Realität.

Es ist gut, dass wir heute gegen die tödliche Abschottungspolitik der Europäischen Union demonstrieren. Unser Motto heute ist „Klimaschutz statt Grenzschutz“. Denn es ist wichtig die Kämpfe um Klimagerechtigkeit und um Bewegungsfreiheit zu verbinden und uns so gemeinsam stark zu machen!

Liebe FreundInnen, erinnert ihr euch an die Jahrhundertflut in Pakistan im August letzten Jahres? Ich frage euch extra, ob ihr euch erinnert, denn in den deutschen Medien spielte sie damals nur eine kleine Rolle.

In Sindh, der südlichsten Provinz des Landes, regnete es damals um sage und schreibe 464% mehr als sonst. Ein Drittel Pakistans wurde überschwemmt. Eine Fläche, fast so groß wie ganz Deutschland. Mehr als 30 Millionen Menschen waren betroffen – und zwar über Monate hinweg, in denen das Wasser auf ihren Feldern stand und ihre Häuser einstürzen ließ. Jetzt ist das Wasser zwar wieder weg – die Böden aber verseucht. Vielen Menschen wurde jede Lebensgrundlage genommen.

Und jetzt ein Schnitt.

Kommt mit mir in die Nacht des 13. auf den 14. Juni vor die griechische Küste. Kommt mit mir auf einen Fischkutter, auf dem sich mehr als 750 Menschen befinden. Menschen, die auf der Suche nach einem besseren Leben in Sicherheit sind.

Was können wir dort sehen, in dieser dunklen Nacht? Wenn wir genau hinschauen, sehen wir fast 300 Menschen aus Pakistan. Menschen, die ertrinken, als das Boot in wenigen Sekunden untergeht. Sie waren meist in den untersten Bereichen des Schiffes und hatten keine Chancen zu überleben. 300 Menschenleben, ausgelöscht in nur einem Wimpernschlag. Und das während die griechische Küstenwache vor Ort ist und die sogenannte europäische Grenzschutzagentur Frontex das Boot stundenlang aus der Luft beobachtet hat. Sie waren Komplizen dieses Massensterbens von insgesamt mehr als 600 Menschen. In nur einer Nacht.

In den ersten 6 Monaten dieses Jahres sind bereits mehr als 2000 Menschen auf dem Weg über das Mittelmeer gestorben. Sie sind alle Opfer der tödlichen Abschottungspolitik der EU.

Und jetzt zoomen wir raus – raus aus Pakistan, raus aus dem Mittelmeer. Und was sehen wir?

Wir sehen, dass die Verursacher der Klimakatastrophe hier im Norden sind. Und dass die Leidtragenden im Süden sitzen. Pakistan trägt weniger als 1Prozent zu den globalen Treibhausgasen bei, ist aber aufgrund seiner geografischen Lage extrem anfällig für den Klimawandel. Nachdem Europa und die USA die Welt schon mit Jahrhunderten des Kolonialismus und kapitalistischer Ausbeutung überzogen haben, bürden sie ihr jetzt auch noch die krassesten Folgen des Klimawandels auf.

Und wir sehen, dass es das reichste 1 Prozent der Bevölkerung ist, das zwischen 1990 und 2015 mehr als doppelt so viele klimaschädliche Emissionen verursacht hat, wie die ärmere Hälfte der gesamten Weltbevölkerung.

Liebe FreundInnen, genau deshalb müssen wir von Klimagerechtigkeit sprechen. Und wir müssen sprechen von Reparationszahlungen, die die Länder Europas zu zahlen haben, wenn der Süden auch nur den Hauch einer Chance bekommen soll, die Klimakatastrophe, die sich dort ja schon längst entfaltet, zu überleben.

Der Weltklimarat spricht von 250 Millionen Klimaflüchtlingen, die sich bis 2100 auf den Weg machen werden müssen – ob sie wollen oder nicht. Die meisten davon werden in ihrer Region umherwandern und in Nachbarländern Schutz suchen. Aber es werden auch viele versuchen in den kälteren und wasserreicheren Norden zu kommen. Also auch hierher. Und sie haben alles Recht dazu.

Und was passiert in der EU? Sie schottet sich ab. Sie errichtet Mauern mit tödlichem Nato-Stacheldraht. Anstatt Verantwortung zu übernehmen, wird weiter auf Abschottung gesetzt.

Und jetzt soll auch noch das Recht auf Asyl abgeschafft. Mit der sogenannten Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems werden Geflüchtete massenhaft inhaftiert und in angeblich „sichere“ Drittländer abgeschoben werden. Geflüchtete sollen unsichtbar gemacht werden, weil sie uns als Vorboten erscheinen, die sehr deutlich machen, dass unsere imperiale Lebens- und Produktionsweise nicht mehr tragbar ist.

Doch als Antwort baut man lieber an einer EU, die immer autoritärer und immer rechter wird. In der KlimaaktivistInnen kriminalisiert werden und nicht die Konzerne, die die Umwelt verpesten.

Und die Ampelkoalition? Sie hat vor den europäischen Kräfteverhältnissen kapituliert und macht beim Abschottungskurs mit. Ein wahres Armutszeugnis.

Die de facto Abschaffung des Rechts auf Asyls ist die vorweggenommene Antwort auf Menschen, die aufgrund der vom reichen Norden maßgeblich mitverursachten Klimakatastrophe gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und zu uns zu kommen.

Sie ist eine sehr klare Antwort auf das Nicht-Handeln des Nordens, der keine Klimaschutzmaßnahmen ergreift Lieber baut man Mauern und hofft so lange wie möglich ungestört im eigenen schönen Garten hocken zu können.

Wollen wir wirklich, dass das die Antwort ist?

Ich denke nicht. Und deshalb sollten wir dem eine globale Solidarität entgegensetzt, die in Bewegungen wie FFF schon im Kern vorhanden ist. Eine Solidarität, die für die Streichung von Schulden, die für Reparationszahlungen des Nordens an den Süden steht und die das Recht auf Bewegungsfreiheit bedingungslos verteidigt.

Lasst uns das Recht zu gehen, genauso verteidigen, wie das Recht zu bleiben!