Drohende Folter? Für das BAMF kein Problem

Wer mir in den sozialen Medien folgt, also auf Twitter, Facebook oder Instagram, der/die wird wissen, dass ich immer wieder auf Fälle von Abschiebungen von politisch aktiven KurdInnen hinweise. Sei es Heybet Sener im Februar 2022, Muhiddin Fidan letzte Woche oder Selbstmord von Irfan K. Ende Juni 2023. Die Liste ist lang. Bisher habe ich diese Fälle auf dem Blog noch nicht zusätzlich festgehalten. Der im weiteren Verlauf geschilderte Fall ist jedoch so weitgehend und krass, dass ich ihn hier ebenso veröffentliche. In der Hoffnung, dass er öffentliche Aufmerksamkeit findet und das, was sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Verwaltungsgerichte (v.a. in Bayern) leisten, nicht mehr einfach so durchgeht. Öffentlicher Druck ist eine der wenigen Waffen, die wir in der Hand haben.

Und nun der Fall:

Deutschland will einen Kurden in die Haft in die Türkei abschieben, obwohl es Belege für seine Folter gibt. Das BAMF sagt: Ja, die Person wurde gefoltert, aber nicht aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung, sondern wegen Terrorismus. Und deshalb ist es ok, ihn erneut in die Haft und damit in die Folter abzuschieben.

Und das ist noch nicht alles. Aufgrund seiner Aussagen im Asylverfahren wurde auch noch ein Verfahren gegen ihn wegen §129b aufgenommen, also: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

Glaubt ihr nicht? Dann lest folgende Geschichte, die ich in Rücksprache mit seinem Rechtsanwalt anonym veröffentliche.

Zum Hintergrund des Betroffenen: Er ist ein 1993 geborener Kurde und stammt aus einer Familie, in der viele Mitglieder wegen ihres Eintretens für demokratische Verhältnisse in der Türkei und die Rechte des kurdischen Volkes Opfer von Repressionsmaßnahmen waren und immer noch sind. Alleine sein Vater war wegen angeblicher Mitgliedschaft in der PKK 12 Jahre inhaftiert.

Der kurdische Freund wird dann ebenfalls wegen Aktivitäten für die 2009 verbotene DTP (Vorgängerpartei der HDP) unter dem immer verwendeten Vorwand der „Mitgliedschaft in der PKK“ polizeilich gesucht und entschied sich deshalb, der kurdischen Freiheitsbewegung anzuschließen und in die Berge zu gehen.

Er hielt sich so auch längere Zeit in Südkurdistan und in Rojava auf. Seitens der türkischen Sicherheitskräfte wurde er währenddessen mit Haftbefehl gesucht. 2016 kehrte er in die Türkei zurück, wurde festgenommen und befand sich bis 2019 in Haft. Dabei wurde er massiv gefoltert – für die Folter gibt es Belege. Er wurde verurteilt, das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig.

In der Verurteilung in der Türkei wird ihm vom türkischen Gericht u.a. vorgeworfen, er sei Kommandant einer PKK-Einheit gewesen, die 2014 in Shengal das ezidische Volk vor dem Genozid der IS-Terrormiliz geschützt hat. Damals hatten bekanntlich Einheiten der YPG/YPJ aus Rojava sowie Einheiten der PKK zehntausende von EzidInnen gerettet und in den folgenden Monaten das Gebiet vor weiteren Angriffen der IS-Terrormiliz versucht abzusichern. Sie trainierten auch die neu gebildeten ezidischen Selbstverteidigungseinheiten YBŞ. In vielen Berichten aus dieser Zeit wurden und werden die Einheiten der PKK als Retter gefeiert. CDU-Mann Volker Kauder forderte damals sogar Waffen an die PKK zu liefern.

Zu all dem liegen die entsprechenden Dokumente dem BAMF vor.

In der Zwischenzeit konnte der kurdische Freund aus der Türkei nach Deutschland fliehen und einen Asylantrag stellen. Aber: dieser wurde am 23. 3. 2023 vom BAMF abgelehnt. In der Ablehnungsbegründung heißt es, dass zwar auch das Bundesamt davon ausgeht, dass der Betroffene inhaftiert, gefoltert und verurteilt wurde. Aber: „Da die PKK sowohl in der Türkei als auch in Deutschland als terroristische Gruppierung eingestuft ist, dient die strafrechtliche Verfolgung tatsächlich der Terrorbekämpfung und erfolgte nicht aufgrund anderweitiger Motive. Eine Strafverfolgung in der Türkei ist somit legitim und wird jedenfalls nicht aufgrund widerrechtlicher Gründe geschehen. (…) Der Antragsteller trug vor, dass er (…) gefoltert wurde. (…) Es ist nicht ersichtlich, dass diese Folter aufgrund der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe des Antragstellers erfolgte. Somit fehlt auch hier ein Anknüpfungsmerkmal i.S.d. § 3b AsylG.“

Dass heißt im Klartext: Ja, der Betroffene wurde gefoltert und es droht ihm auch wieder Folter, aber weil er wegen Terrorismus angeklagt und verurteilt wurde, geht das schon klar. Wie perfide!

Aber das ist noch nicht alles: Am 31.5. 2023 kamen mehrere Polizeibeamte in die Flüchtlingsunterkunft des Betroffenen (in Bayern). Er selber war nicht da. Dennoch durchsuchten sie ohne Gerichtsbeschluss sein Zimmer. Auf Beschwerde und Nachfrage wurde seinen AnwältInnen später mitgeteilt, dass gegen ihn seitens der Generalstaatsanwaltschaft München wegen der Erkenntnisse aus dem Asylverfahren(!) ein Ermittlungsverfahren gemäß §129b StGB eingeleitet worden ist.

Dies ist einer der krassesten Fälle, die ich je gehört habe. Und ich höre viele Fälle jede Woche, jeden Tag… Hier wird die Abschiebung in Folterhaft legitimiert. Wenn das durchkommt, ist das sehr gefährlich für viele andere Betroffene. Und als ob das noch nicht reicht, wird auch noch ein Terrorismus-Verfahren gegen ihn hier in Deutschland aufgenommen. Von der einen Verfolgung in die andere Verfolgung.

Wie soll das alles nur weiter gehen…

PS: Wenn ihr JournalistInnen seid oder welche kennt, die darüber berichten wollen, kontaktiert mich und ich stelle einen Kontakt zum Rechtsanwalt her.