Am Freitag, den 15. März 2024, fand im Bundestag die zweite Sitzung des „Parlamentskreis Kurdisches Leben in Deutschland“ statt. Anwesend waren Abgeordnete der CDU, SPD, Grünen und Linke, sowie eine Reihe von Mitarbeiter:innen aus Abgeordnetenbüros. Neben einer Selbstvorstellung der Kurdischen Gemeinde Deutschlands (KGD), war ich eingeladen über die staatliche Verfolgung von Kurd:innen in Deutschland zu referieren. Ich dokumentiere hier den Kurzinput. Es gilt das gesprochene Wort:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die Einladung zum Parlamentskreis Kurdisches Leben in Deutschland.
Ich wäre heute gerne mit Ihnen im Raum, aber da ich vor drei Wochen Vater geworden bin, unterstütze ich meine Frau im Wochenbett und kann deshalb leider nicht vor Ort anwesend sein.
Ich beschäftige mich schon sehr lange mit Kurd:innen und der kurdischen Freiheitsbewegung sowohl im Nahen Osten als auch hierzulande und habe zu diesem Thema promoviert und mehrfach publiziert. Ich will heute einen kurzen Input zur politischen Verfolgung von Kurd:innen – nicht in der Türkei – sondern in Deutschland geben. Diese Verfolgung hat einen ganz maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung des kurdischen Lebens hierzulande. Sie wird aber oftmals sowohl auf politischer Ebene als auch in der öffentlichen Diskussion ausgeklammert.
Das seit 30 Jahren bestehende Betätigungsverbot der Arbeiterpartei Kurdistans PKK und die damit einhergehende Kriminalisierung hat mittlerweile große Auswirkungen auf das Leben aller Kurd:innen hierzulande und basierend auf konkreten Beispielen, die ich im Folgenden nennen werde, spreche ich mich für die Aufhebung des Verbots aus.
In unserem kürzlich erschienenen Buch wie die kurdische Diaspora in Deutschland mundtot gemacht wird, zeigen wir, dass das PKK-Verbot und die damit einhergehende Kriminalisierung die gesamte kurdischstämmige Bevölkerung in diesem Land trifft und dessen Auswirklungen nicht nur auf Aktivist:innen der kurdischen Freiheitsbewegung zu reduzieren sind. Ich möchte deshalb diesen Input nutzen und den Blick darauf weiten.
Denn – das ist mein Hauptpunkt heute – das PKK-Verbot ist in den letzten 30 Jahren zu einem massiven Integrationshindernis verkommen und offenbart damit zugleich ein deutsches Demokratiedefizit.
Es kriminalisiert nicht nur Aktivist:innen, sondern eine gesamte Bevölkerungsgruppe, die schnell unter Generalverdacht gestellt wird. Es betrifft das Leben von hunderttausenden Menschen in diesem Land. Denn der mit dem Verbot einhergehende Terrorvorwurf stigmatisiert kurdisches Leben und kurdische Kultur, bis hin zur kurdischen Sprache. Kurd:innen sind ständig als potentielle Terroristen markiert.
Menschen, die einfach nur ihre kurdische Identität leben wollen, ihren Kindern kurdische Namen geben, im Kindergarten oder in der Schule Kurdisch sprechen, auf ein kurdisches Kulturfest gehen wollen, überlegen sich zweimal, dreimal, ob sie mit den möglichen Konsequenzen leben können und wollen.
Durch den Bannstrahl des Terrorvorwurfes wird zugleich alltäglicher antikurdischer Rassismus beflügelt. Nicht umsonst hat sich erst kürzlich eine Informationsstelle Antikurdischer Rassismus gegründet.
Darauf will ich nicht weiter eingehen, es gibt zu diesem Themenkomplex sehr gute Forschung und immer mehr Studien werden veröffentlicht, unter anderem von Prof. Cinur Ghaderi an der Evangelischen Hochschule Bochum oder auch vielfältige Forschung am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung.
Zugleich ist von dem Verbot eine Bevölkerungsgruppe betroffen, deren Einstellungen, ihre oft säkulare Haltung zur Religion, zur Gleichberechtigung von Frauen, zu demokratischen Lebensweisen, in großen Teilen sehr gut zu diesem Land passt.
Aber wie zeichnet sich diese Diskriminierung im Leben der Kurd:innen in Deutschland aus? Ich habe jetzt eher abstrakt gesprochen, deshalb kurze Beispiele, von Menschen, die betroffen sind:
Da ist Agid Aklan aus Hersbruck bei Nürnberg. Dessen Eltern in den 80er Jahren vor dem Krieg in der Türkei und Nordkurdistan geflohen sind. Er selber ist in Deutschland geboren und eigentlich ziemlich unpolitisch. Sein größter Traum war es in Bayern Polizist zu werden. Er hat 35 Kilogramm abgenommen, um den Sporttest zu bestehen und schafft die Aufnahmeprüfung. Er bekommt eine Ausbildungszusage und kündigt deshalb seinen bisherigen Job.
Kurz vor Beginn wird ihm mitgeteilt, dass er die Ausbildung doch nicht antreten könne. Warum? Weil er auf Facebook im Herbst 2014, als sich die syrisch-kurdische Stadt Kobane gegen die Terrorbanden des IS verteidigte, ein Foto eines kurdischen YPG-Kämpfers aus dieser Stadt gepostet hatte. Er wollte ein Statement setzen gegen den IS-Terror.
Zur Erinnerung: damals forderte übrigens selbst Volker Kauder von der CDU Waffen für die PKK, damit der IS besiegt werden könne. Aber für die bayerische Polizei stellte dieses Facebook-Posting ein Anlass für „berechtigte Zweifel“ an Aklans Verfassungstreue dar und somit durfte er bis heute nicht Polizist werden.
Da ist der exemplarische Fall zweier Schwestern, Malinda und Merliz, die in München geboren sind. Eine beendet gerade ihr zweites Studium zur Archäologin und die andere ist erfolgreiche Unternehmerin im Reinigungssektor mit dutzenden Angestellten. Beiden wird seit Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft verweigert, weil es Fotos von ihnen gibt, wie sie auf einem Straßenfest in München Essen bei einem kurdischen Stand verkauft haben und sie früher in kurdischen Studierendengruppen aktiv gewesen sein sollen. So geht es hunderten von Kurd:innen, die seit Jahrzehnten hier leben, hier geboren sind, studieren und/oder arbeiten und gerne deutsche Staatsbürger werden wollen. Oft wird einfach nur kulturelles Engagement in einem kurdischen Verein oder auf kurdischen Festen als Einbürgerungshindernis gesehen.
Da ist die fünffache kurdische Mutter Zozan G. aus Oberhausen, die wegen einer möglichen Kindeswohlgefährdung vor das Familiengericht zitiert worden ist, weil ihre Tochter in der Schulzeit an einer angemeldeten und friedlichen Demonstration für die Freilassung der politischen Gefangenen in der Türkei, unter anderem auch Abdullah Öcalans, teilgenommen hat.
Und derzeit ganz akut: tausende Fälle von kurdischen Geflüchteten aus der Türkei, die sich dort für Demokratie und Gleichberechtigung eingesetzt haben, die in der legalen und im türkischen Parlament vertretenen Demokratischen Partei der Völker HDP aktiv waren, auf kommunaler oder regionaler Ebene und die nun wegen Terrorvorwürfen der von der AKP kontrollierten Justiz Jahre bis Jahrzehnte hinter Gittern verschwinden sollen.
In Deutschland lehnen das BAMF und Verwaltungsgerichte ihre Asylanträge regelmäßig ab, oft mit der Begründung, dass sie aufgrund ihrer politischen Aktivitäten, die von Erdogan als Terrorunterstützung gesehen werden, ihre Haftstrafe in der Türkei abzusitzen hätten. Dem Terrorvorwurf der AKP-Justiz wird Glauben geschenkt, weil Kurd:innen auch hierzulande aufgrund des PKK-Verbots oft als potentielle Terroristen gesehen werden. Der Blick der türkischen AKP-Justiz auf Kurd:innen deckt sich mit dem Blick deutscher Behörden.
Noch ein Wort zu Geflüchteten aus der Türkei: Im Jahr 2023 wurden 61.181 Asylerstanträge türkischer Staatsbürger*innen registriert, damit haben sich die Antragszahlen im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt – was zugleich einen Eindruck der menschenrechtlichen Situation des engen bilateralen Partners und Nato-Mitglieds vermittelt.
84 Prozent der Asylerstanträge türkischer Staatsangehöriger im ersten Halbjahr 2023 wurden von Kurd*innen gestellt. Doch die Schutzquote für sie lag im ersten Halbjahr nur bei 7%. Während die Schutzquote von Türk:innen im gleichen Zeitraum bei 70% lag. Damit haben Kurd:innen aus der Türkei faktisch kaum Chancen auf Schutz in Deutschland, obwohl das Land immer weiter zu einer autoritären Diktatur wird.
Allein die Diskrepanz dieser Zahlen zeigt die langfristigen Auswirkungen des PKK-Verbots.
Tausende Menschen waren in den letzten Jahren von der Kriminalisierung in der ein oder anderen Weise direkt betroffen, Hunderttausende werden so in der Ausübung ihrer Grundrechte eingeschränkt. Was dieses Damoklesschwert einer möglichen Verfolgung aufgrund der eigenen ethnischen Zugehörigkeit für Auswirkungen auf die Psyche hunderttausender Menschen hat, können wir uns gar nicht vorstellen. Dazu kann die heute anwesende geschätzte Mona Kizilhan bestimmt viel mehr erzählen.
Deshalb ist meine Schlussfolgerung, dass das PKK-Betätigungsverbot aus all diesen Gründen aus der Zeit gefallen ist. Es stellt ein Integrationshindernis und ein Demokratiedefizit für alle hier lebenden Menschen dar. Es gehört abgeschafft, damit Kurd:innen in Deutschland endlich entkriminalisiert werden.
Die kurdische Freiheitsbewegung ist heute ein transnationaler Akteur der Demokratisierung und Frauenbefreiung im Nahen Osten, wie wir zuletzt bei der Jîna-Revolution im Iran gesehen haben, die auch als Jin-Jiyan-Azadi Bewegung bekannt ist. Diese Dynamiken und die fortschreitende Autokratisierung in der Türkei betonen immer wieder die dringende Notwendigkeit von Friedensverhandlungen und damit den Schutz vulnerabler Gruppen.
Wie schön wäre es, wenn Deutschland sich durch eine Abschaffung des Verbots als Ort für Friedensverhandlungen auf Augenhöhe zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Freiheitsbewegung anbieten würde – allein aufgrund der großen türkischen und kurdischen Communities in diesen Land wäre es an der Zeit konfliktschlichtend voranzuschreiten.“