Feldnotizen vom 30/31.01.16
Jetzt sind schon wieder fast zwei Tage vergangen, es wird also Zeit für einen weiteren Feldbericht. Und um ehrlich zu sein fällt es mir schwer meine Eindrücke und Erlebnisse niederzuschreiben, da so viel Neues mich umgibt und es nicht leicht ist, dies alles einzuordnen. Ich versuche es wenigstens.
Edward Sekyewa – Der Meister der Korruptionsenthüllung
Gestern habe ich zwei Interviews geführt. Mein erster Gesprächspartner war Edward Sekyewa, ein sehr bekannter Journalist in Uganda, der 2008, nachdem er sein Journalismusstudium an der HU in Berlin beendet hatte, nach Kampala zurückkehrte. Heute ist er Leiter des Hub for Investigative Media (HIM, Zentrum für investigative Medien) und der erfolgreichste Anti-Korruptions-Journalist hier im Land.
Basierend auf dem „Access to Information“ -Gesetz aus dem Jahre 2005, das unter anderem festlegt, dass Behörden transparent sein müssen und behördliche Informa-tionen offen legen müssen, verklagt er seit einigen Monaten dutzende staatliche Einrichtungen darauf, dass sie ihre Budgets offen legen müssen. Uganda ist bis ins Mark von Korruption durchdrungen und vor allem Behörden sind davon betroffen. Letztes Jahr ist es ihm gerichtlich gelungen, die Nationale Forstbehörde zur Offenlegung ihrer Finanzen zu zwingen und siehe da: Unsummen sind wegen Korruption draufgegangen. Die in Kampala lebende taz-Auslandskorrespondentin Simone Schlindwein, die ebenfalls seit 2008 aus Uganda und ganz Ost- und teilweise Zentralafrika berichtet, hat einen guten Artikel darüber geschrieben. Und auch das African Center for Media Excellence (ACME), mit dessen Leiter und Angestellten auch noch Interviews geführt werden, hat ebenfalls zu diesem Fall zwei längere Artikel veröffentlicht, die ihr hier und hier findet. Momentan prozessiert er gegen die Bank of Uganda, also die Zentralbank, um auch hier die Korruption offen zu legen. Er legt sich damit direkt mit den Herrschenden an. Für ein langes Leben ist dies sicherlich nicht förderlich.
Ängstlich sieht Edward Sekyewa aber nicht aus, als er mich lachend in Kisimenti, einem Mittel- und Oberschichtenviertel mit einem riesigen Kaufhaus, der Acacia Mall, begrüßt. Wir hatten ausgemacht uns im Que Passa zu treffen und dort das Interview zu führen. Doch die Tücken der Forschung wollen es, dass gerade zu diesem Zeitpunkt überall laute Dieselgeneratoren in der Nachbarschaft laufen, sodass man die Aufzeichnung seiner Stimme nicht verstehen würde. Aber spontan wie hier vieles läuft, finden wir auf der Dachterrasse eines Clubs ein ruhiges Plätzchen und das Interview kann beginnen. Wir sprechen über die Arbeit des HIM, darüber wie sie spezielle Sicherheitskurse zum Thema Datenschutz anbieten und an der Ausbildung für Journalisten arbeiten. Die anstehenden Wahlen machen ihm große Sorgen und er befürchtet heftige Auseinandersetzungen. Insbesondere die sog. „Crime Preventers“ stellen eine Gefahr dar: „Stell dir eine solche Situation vor: Das Land geht vor die Hunde und du hast überall solche Leute, was denkst du werden sie machen? Sie werden uns angreifen. Und wenn sie merken, dass du Journalist bist, könnten sie dich sogar umbringen, weil sie wissen, dass du darüber berichten wirst.“ Medien berichten, dass von der Polizei die Rekrutierung von 11 Millionen „Crime Preventers“ angestrebt wird. Ob das realistisch ist, ist eine andere Frage. Eine lange Auflistung bisheriger Angriffe auf Journalisten von verschiedenen Seiten wurde übrigens vor einer Woche vom Human Rights Network for Journalists veröffentlicht. Auch Human Rights Watch hat Mitte Januar einen langen Bericht veröffentlicht, der lesenswert ist: „Keep the People Uninformed“ (Ich weiß, dass HRW mit Vorsicht zu genießen und stark interessengesteuert ist, dennoch ist der Bericht interessant).
Sekyewa fährt fort: So lange es keine starken und unabhängigen Institutionen im Land gebe, also Gerichte, Polizeibehörden oder auch das Parlament, können sich auch keine starken unabhängigen Medien entwickeln, so seine These.
Passend zu dieser Aussage drohte Informationsminister Muhwezi am Freitag Medien mit Schließung, falls diese sich nicht an Gesetze halten und Menschen gegeneinander aufhetzen würden. Der ehemalige General und jetzige Minister sagte: „Wir sind zwar interessiert an Demokratie, Freiheit der Medien und der Presse, aber wir wollen auch Stabilität in unserem Land haben. Kein Medienverlag kann das Gesetz in die Hände nehmen und wir bleiben ruhig. Ja, absolut, wir werden sie schließen.“
Das Argument der gegenseitigen Aufhetzung unterschiedlicher Stämme und Volksgruppen ist übrigens ein beliebtes Motiv, dass von Seiten der Regierung zur Beschwichtigung und Unterdrückung von Kritik herangezogen wird. Und es wirkt oft, zu stark sind die Erinnerungen an die Schreckensherrschaft von Idi Amin und Milton Obote, der hunderttausende Menschen, oft aufgrund unterschiedlicher Volkszugehörigkeit, zum Opfer fielen. Auch der Genozid der Hutu an den Tutsi (und kritischen Hutus) schwebt noch, einem Damoklesschwert gleich, über den Köpfen der Menschen.
Jetzt bin ich abgeschweift. Auf jeden Fall ist dies nur eine kurze Betrachtung des äußerst interessanten Interviews mit dem sympathischen Edward Sekyewa. Die längere (wissenschaftliche) Analyse erfolgt dann in der Masterarbeit.
Im Anschluss an das Gespräch sitzen wir noch da und plaudern, Situationen in denen man aus wissenschaftlicher Sicht übrigens oft noch interessante Informationen bekommt. Ein Freund von ihm, Harry, kommt vorbei. Er arbeitet gerade am Launch einer Satirezeitschrift, die Charlie Hebdo zum Vorbild hat. Ziel sei es, alle PolitikerInnen des Landes, egal von welcher Partei, auf die Schippe zu nehmen. Ich bin gespannt, wie diese Zeitschrift angenommen wird und wie die Behörden reagieren werden. Denn Humor spielt in Uganda eine große Rolle. Präsident Museveni selbst soll sehr humorvoll sein und sich öfters über sich selbst lustig machen. Ein viraler Hit war zum Beispiel eine Art Live-Rap, den er zu den Wahlen 2011 auf einer Rede präsentierte und den ihr hier in einer animierten Version seht:
Diese Selbstironie bzw. Humor führt auch dazu, dass Stand Up-Comedians im Land sehr beliebt sind und weitestgehende Narrenfreiheit haben: Sie dürfen sagen, was sie wollen, auch über und vor dem Präsidenten, der sich dabei einen Ast lacht. Vielleicht ist hat dies ja auch eine „Dampf ablassen“-Funktion, wer weiß. Hier ein Beispiel davon wie ein Museveni-Imitator den Präsidenten veräppelt:
Simone Schlindwein – „Zwei Giganten streiten sich“
Direkt nach dem Treffen fahre ich nach Kabalagala beziehungsweise in das darüber gelegene Muyenga-Viertel. Dort treffe ich mich mit der Auslandskorrespondentin Simone Schlindwein, die seit acht Jahren in Uganda lebt und aus der Region berichtet. Sie ist (neben dem ARD-Auslandsteam in Nairobi/Kenia) in ganz Ost- und(!) Zentralafrika die einzige deutschsprachige Journalistin, also für Deutschland, Österreich und die Schweiz, die beständig von dort für die taz und österreichische Medien berichtet. Die Medien haben kein Geld und auch kein Interesse mehr Korrespondenten zu schicken, dafür ist das hier alles zu weit weg, sagt sie. Man höre aus der Region meistens nur, wenn eine Bombe hochgeht, die Al-Shabab-Milizen wieder angreifen oder, wie 2012, der LRA-Chef Kony in den Mittelpunkt der (in diesem Fall künstlich erzeugten) Aufmerksamkeit rückt. Die alltäglichen Entwicklungen und Probleme hier spielen für Europa keine Rolle.
Das bringt mich zum Nachdenken: Zum einen ist das verständlich. Man nimmt die Dinge, die einen direkt umgeben, immer mehr wahr. Allerdings regen wir uns dann über Menschen auf, die vor Krieg und wirtschaftlicher Ungerechtigkeit aus afrikanischen Ländern nach Europa fliehen, auf, ohne deren Herkunftsländer und Fluchtgründe zu kennen. Dabei ist Uganda kein Land aus dem viele Menschen fliehen. Im Gegenteil. Letztes Jahr sind mehr als 100.000 Menschen aus Burundi, dem Südsudan, Somalia oder dem Kongo in das Land geflohen. Die Gesamtzahl der Flüchtlinge beträgt mehr als 646.000, laut Zahlen der UNHCR.
Bei einer Flasche Waragi (ugandischer Gin) fangen wir an zu sprechen, ich schalte das Aufnahmegerät ein. Wichtig ist der Journalistin festzuhalten, dass im Vergleich zu vielen anderen ostafrikanischen Ländern, also Burundi, Ruanda, Kongo, dem Südsudan, mit Ausnahme Kenias, die Presse in Uganda am freiesten ist. Klar gebe es hier auch Einschränkungen, vor allem zu Wahlzeiten, aber im Vergleich ist das immer noch ein Land der Pressefreiheit. In den Medien werde diskutiert, es gibt gut recherchierte kritische Berichte und auch die Boulevardzeitung Red Pepper, die von Musevenis Bruder, dem General und Großindustriellen Salim Saleh mitfinanziert wird, finden sich regierungskritische Berichte. Ich finde, dass ist eine wichtige Aussage für die Masterarbeit. Die Einschränkungen der Medienfreiheit müssen immer auch im Vergleich zu anderen Nachbarländern gesehen werden.
Den Wahlkampf und die damit verbundenen Einschüchterungen und Übergriffe beschreibt Simone mit einem afrikanischen Sprichwort: „Wenn zwei Elefanten sich streiten, leidet das Gras“ – in diesem Fall eben auch die Journalisten. Die beiden Elefanten, das sind Museveni und Mbabazi, sein früherer Ministerpräsident, der, gerade als ich diese Zeilen schreibe, im Haus nebenan wohnt und dessen Leibwächter eigentlich ganz nett sind. Mbabazi kandidiert als Kopf der Go Forward Formation, die keine Partri sondern eine Art Bewegung ist. Erst kürzlich bezeichnete er sich noch als Mitglied der NRM. Simone Schlindwein: „Es geht um zwei Egos, die extrem familiär miteinander vernetzt sind und wo Wahlkampf auch bisschen zum Nachbarschaftsstreit geworden ist. (…) Das ist eine andere Dynamik und Sprengkraft, die diese Wahlen besonders machen. Für alle Seiten steht viel mehr auf dem Spiel. (…) Und da merken vor allem auch lokale Journalisten, wie sehr man als Gras oft auch totgetrampelt wird, wenn man nicht im Fahrwasser von dem einen oder anderen Elefanten mitschwimmt.“
A pro pos „mitschwimmen“, auch für Simone stellt Korruption im Journalismus aber auch im Allgemeinen ein wichtiges Problem dar. Sie berichtet von Fällen, die eher die Regel, als die Ausnahme sind, bei denen selbst die Beantragung einer Steuernummer, um Steuern zahlen zu können, nur mit Bestechung möglich sei. Alles baut hier also auf Korruption auf, aber, und das will ich betonen, Korruption und Klientelwirtchaft (oder auch Patronage), hat seine sozialen Ursachen: Armut, niedrige Bezahlung, schlechte Behördenorganisierung usw.Das Gespräch und der Abend wird lang, irgendwann stößt Jon, ein amerikanischer Journalist und Achola, Wahlkampfhelferin für Go Forward mit dem Schwerpunkt Medien (ich werde sie auch noch interviewen), zu uns und sie fangen an zu diskutieren. Ich halte mich eher im Hintergrund und lausche, denn ich will noch nicht bei Themen mitdiskutieren, über die ich eigentlich nicht viel weiß.
Sonntags relaxen? Von wegen!
Der heutige Sonntag stand im Zeichen der Aufarbeitung und des Schreibens von Anfragen. Da die Internetverbindung auf dem Anwesen, auf dem ich wohne, sehr gut ist, kann ich viel Zeitung lesen. Dabei stoße ich auf den aktuellsten Artikel von Simone Schlindwein: „Die Währung Mensch“, in dem es um einen dreckigen Deal zwischen Israel auf der einen und Ruanda und Uganda auf der anderen Seite geht. Verkürzt gesagt bekommen die beiden afrikanischen Länder hochwertige Waffentechnologie dafür, dass sie aus Israel abgeschobene Eritreer „aufnehmen“ und de facto ihrem Schicksal überlassen. Der Bericht wird in beiden Ländern noch für Aufsehen sorgen, aber lest selbst.
Nachmittags treffe ich mich mit Henry und seiner Familie. Er war im Oktober 2014 für Prof. Meyen, Dr. Fiedler und mich unser Fahrer in Kampala und Umgebung. Wahrscheinlich werde ich über ihn noch einen eigenen Blogbeitrag schreiben. Nur kurz: Er ist Teil der internationalen Arbeiterklasse, arbeitet als Fahrer für Menschen, die es sich leisten können und war jahrelang im Irak (bei der US-Army) und im Südsudan, weit weg von seiner Familie, tätig. Jetzt will er sich hier selbstständig machen und bräuchte dafür einen Mikrokredit. Da es hier so etwas allerdings nicht gibt bzw. nur schwer zu bekommen ist, überlegen wir derzeit eine Crowdfunding-Kampagne für ihn zu starten.
Abends bin ich dann auf einer Veranstaltung eingeladen gewesen, die ich bis jetzt noch nicht einordnen kann und auch nicht richtig verstanden habe. In einem etwas auswärts gelegenen Viertel wird der Uniabschluss von drei Jugendlichen gefeiert. Einer der drei kandidiert gleichzeitig als unabhängiger Kandidat für den Local Council III.
Das Council-System in Uganda ist (gefühlt) ziemlich kompliziert. Das heißt, es war eine Mischung aus Feier und Kundgebung. Die meisten Gratulations- und politischen Reden waren auf Luganda, der Sprache der Baganda, die im Königreich Buganda, das Kampala einschließt, leben. Das heißt ich habe so gut wie nichts verstanden. Auf jeden Fall waren dort verschiedene VertreterInnen der Parteien, NRM, Democratic Party und Unabhängige und haben geredet und gefeiert. Auch ein „Crime Preventer“ war vor Ort, hat sich aber nicht aufs Gelände getraut.
Die ganze Situation hat mir wieder vor Augen geführt, dass man nicht einfach in eine Gesellschaft kommen und vorgeben kann, diese zu verstehen. Das fällt mir auch oft auf, wenn ausländische Journalisten über die Situation in der Türkei/Nordkurdistan berichten und die Artikel von Fehlern und falschen Schlussfolgerungen nur so strotzen. Auf jeden Fall hat mir die Atmosphäre vor Ort sehr gut gefallen und mich an den neuen Reggae-Song des ugandischen Musikstars Bobi Wine erinnert, der darin zu gewaltfreien und fairen Wahlen aufruft.
Zum Schluss noch zwei Gedanken:
- diese Feldnotizen sind natürlich in einer gut lesbaren Artikelform gehalten, viele Ideen, Gedanken und Beobachtungen fließen nicht in den Teil ein, da sie entweder nicht ausgegoren genug sind, um darüber zu schreiben oder auch einfach nicht zur Veröffentlichung geeignet sind
- Die in diesem Bericht genannten Personen wurden hier mit Klarnamen genannt, da sie kein Problem damit haben
Gute Nacht.