Die letzten Tage in der Westsahara waren geprägt von Sand. Überall Sand, wie schon im ersten Blogeintrag beschrieben. In jeder Ritze, in jeder Pore. Warum? Weil wir in die von der Polisario befreiten Gebiete gefahren sind und dort noch mehr Wüste ist, als schon in den Flüchtlingslagern um Tindouf.
Etwa 20% des von der Befreiungsbewegung beanspruchten Landes stehen unter ihrer Kontrolle. Nach zwei Stunden Fahrt und einer algerischen Grenzkontrolle später, kommen wir mitten im Nirgendwo an. 1000 Meter vor uns liegt die „Mauer der Schande”, der 2720 Kilometer lange Wall, von Marokko in den 1980er Jahren gebaut, um die Guerillaangriffe der ELPS, dem bewaffneten Arm der Polisario, abzuwehren. Um uns herum befindet sich – bis auf ein paar Sträucher und kleine Bäume – nur Sand. Auf dem Boden liegen die Überreste abgeschossener Bazooka-Raketen. Der Krieg wird im rauen Klima der Wüste konserviert. Kleine Silhouetten stehen auf der Mauer und beobachten uns. „Das sind marokkanische Soldaten. Bitte geht nicht weiter”, sagt Najla. Zwischen uns und der Mauer liegt ein unmarkiertes Minenfeld. Wir zeigen den Besatzungssoldaten unseren Unmut und gehen zurück. Mehr gibt es hier politisch nicht zu sehen. Die Zeichen der Macht und Unterdrückung sind unscheinbar, aber dafür umso effektiver. Wie so oft auf der Welt. Wenige Kilometer weiter treffen wir auf eine Gruppe Nomaden, die gerade ein Kamel geschlachtet haben. Wir werden von einem 21-jährigen Ziegenhirten, der ganz alleine in der Wüste lebt, zum Mittagessen eingeladen und dürfen das frisch gebratene Kamelfleisch genießen.
Am nächsten Tag geht es erst einmal in ein winziges Hamam. Duschen ist angesagt. Das zweite Mal in acht Tagen. Gestunken haben wir aufgrund der trockenen Hitze tagsüber und der kalten Nächte nicht. Erstaunlich mit wie wenig Wasser man auskommen kann. Später steht ein Gespräch mit Nova an. Nova steht für „Non Violent Action in Western Sahara” und wurde 2012 mit schwedischer Unterstützung gegründet.
Acht junge AktivistInnen (davon sechs Frauen) sind gekommen, um mit uns zu diskutieren. Nova steht für gewaltfreien Widerstand gegen die Besatzung und Dialog mit Jugendlichen in der Maghreb-Region, auch aus Marokko. 2016 und 2017 nahmen sie an den nordafrikanischen Sozialforen in Marokko und Tunesien teil, auch um ein Gegennarrativ zur marokkanischen Version der Besatzung zu erzählen. Nova organisiert zudem politische Kampagnen, wie zum Beispiel gegen die Ausplünderung der natürlichen Ressourcen der Westsahara durch Marokko. Ein Schwerpunkt ist das Fischereiabkommen zwischen der EU und Marokko, das erst diese Woche durch das EU-Parlament angenommen wurde, obwohl es selbst europäischem Recht widerspricht. In einem ersten Schritt richtete sich die Nova-Kampagne zur Fischerei auch an die eigenen Leute. Denn der Fisch, der von Marokko (und der EU) illegal in den besetzten Gebieten vor der Küste der Westsahara mit großen Trailern an Land gezogen wird, wird über Umwege auch in den Flüchtlingslagern um Tindouf verkauft. So verdient Marokko auch noch Geld mit den Menschen, die sie vor 44 Jahren vertrieben haben. Zynisch und Kapitalismus in Reinform. Die Aufklärungsarbeit von Nova erreichte, dass fast niemand mehr in den Lagern den Fisch konsumiert. Ein Erfolg, den Nova auch durch Bildungsarbeit an Schulen mit den LehrerInnen und SchülerInnen erreichte.
Die Strukturen von Nova sind von Frauen geprägt. 60% der circa 250 AktivistInnen sind weiblich. Die Vorsitzende und Stellvertreterin sind Frauen. Darunter sind viele LehrerInnen, StudentInnen, RechtsanwältInnen. Es gibt auch ein Dutzend Mitglieder direkt in den besetzten Gebieten, die dort Menschenrechtsverletzungen dokumentieren. Außerdem organisieren sie dort Aktionen des zivilen Ungehorsams: Pfeifkonzerte in der Nacht oder aufsteigende Heliumballons, geschmückt mit der sahrauischen Fahne. Genau wie alle anderen UnabhängigkeitsaktivistInnen sind die Nova-Mitglieder einer starken Repression ausgesetzt. Derzeit sitzen in marokkanischen Gefängnissen insgesamt 66 politisch gefangene Saharauis ein. Es gibt eine Reihe von Verschwundenen, die entweder umgebracht oder ohne Prozess in den Kerkern eingesperrt sind. Genaueres weiß man nicht.
Für 2019 sind bei Nova in den Flüchtlingslagern erneut Workshops und Dialogforen geplant. So auch beim kommenden Sahara Marathon, der am 26. Februar um Tindouf herum stattfinden wird. Außerdem soll eine Kampagne zur Begrünung der Flüchtlingslager stattfinden, also eine Art „Make Western Sahara Green Again”-Kampagne (in Anlehnung an „Make Rojava Green Again” in Rojava/Nordsyrien). Auch mit den Nova-AktivistInnen diskutieren wir die Forderung vieler Jugendlicher, endlich den Krieg wieder aufzunehmen. Nova versucht den friedlichen Widerstand zu bewahren, die berechtigte Wut der Jugend aufzugreifen und in friedliche Bahnen zu lenken. Auch wenn viele der Anwesenden die Forderung nachvollziehen können und sie „überhaupt kein Vertrauen in die UN” haben. Wir sprechen auch über ihre Kontakte nach Marokko und die dortigen Gruppierungen, die aus marokkanischer Perspektive für das Selbstbestimmungsrecht der Westsahara eintreten. Denn nur durch eine gleichzeitige Transformation der marokkanischen Gesellschaft, weg vom nationalistischen Chauvinismus, der vom marokkanischen König (der übrigens zugleich der größte Unternehmer im Land ist) gezielt geschürt wird, kann Veränderung stattfinden. Eine Aktivistin vergleicht die Situation der Besatzung mit dem Israel/Palästina-Konflikt. Aber: „In Israel kann man wenigstens noch sagen, dass man für Palästina ist. In Marokko muss man einen sehr hohen Preis dafür zahlen, wenn man sagt, man ist für das Selbstbestimmungsrecht der Westsahara.“ Deshalb wären viele junge MarokkanerInnen vorsichtig, weil sie nicht direkt ins Gefängnis kommen wollen. Insgesamt sei die Solidarität aus Marokko aber noch viel zu klein. Malainin Lakhal, ein sahrauischer Journalist, mit dem wir anschließend noch ein Gespräch haben, geht auch auf den Rassismus ein, dem Sahrauis in Marokko ausgesetzt sind: „Wir werden dort nur als ‚Dirty Sahrawis‘ bezeichnet”. Er selbst ist erst 2000 aus den besetzten Gebieten in die Flüchtlingslager geflohen. Zuvor war er als Student in Marokko öfters festgenommen worden. Am Ende des Gesprächs wünschen sich die Nova-AktivistInnen konkrete Unterstützung: „Macht die Situation hier bei euch bekannt, kommt zu unseren Workshops und wenn ihr finanzielle Möglichkeiten habt, könnt ihr gerne auch für unsere Arbeit spenden”.
Unsere Tage im Flüchtlingslager Smara neigen sich dem Ende zu. Für ein abschließendes Fazit ist es noch zu früh, die Erlebnisse, die Armut, das Leid in den Lagern, werden noch lange nachwirken. Es schmerzt, das Privileg des Gehens und Nichtsehens so deutlich vor Augen zu haben. Mit unserem deutschen Pass können wir einfach wieder zurückfliegen ins reiche München. Najla, unsere Gastgeberin in Smara, bleibt am Flughafen zurück. Umso mehr ist es für uns Aufgabe, die Situation und den Kampf der Sahrauis in Deutschland bekannt zu machen. Wenn ihr als LeserInnen dieses Blogs Interesse an einer Veranstaltung zur Situation habt, Bilder oder Informationen braucht, könnt ihr euch gerne bei uns melden. Der Abschied und das Ende dieser Reise kommt mit einem Lied von Aziza Brahim, einer bekannten sahrauischen Sängerin.
Wir sehen uns in Deutschland, falls mich die Bundespolizei einreisen lässt ;-)!