Schon zum siebten Mal mache ich mich aus Deutschland auf den Weg nach Palästina. Es geht wieder zum Farkha-Jugendfestival, das dieses Jahr zum 26. Mal seit 1991 stattfindet. Seit fast 30 Jahren laden junge KommunistInnen der Palästinensischen Volkspartei in das kleine Dorf Farkha ein. Farkha, das heißt übersetzt „Hühnchen“. Jedes Jahr im Sommer kommen dort Jugendliche aus Palästina, Israel, aber auch aus Europa zusammen, um gemeinsam zu arbeiten, zu feiern und Widerstand gegen die israelische Besatzung zu leisten. Dieses Jahr schaffe ich es erst zur Mitte des Festivals zu den GenossInnen zu stoßen. Doch ich bin nicht alleine. Vor mir sind bereits mehr als 35 andere InternationalistInnen aus Spanien (Izquierda Unida), Dänemark (Socialist Youth Front) und Deutschland angereist. Die deutsche Delegation besteht aus Mitgliedern des SDS, der Linksjugend, der marxistischen Linken, der Frauenorganisation Brot und Rosen, des Verbands der Studierenden aus Kurdistan – YXK, der Radikalen Linken Berlin und Menschen, die einfach aus Interesse an dem Festival mitgefahren sind. So viele waren wir noch nie. In der Vielfalt eint uns alle der Wille die Solidarität mit den fortschrittlichen Kräften in Palästina auch in Deutschland stärker werden zu lassen.
Die Anreise ist wieder etwas nervig, schon am Münchener Flughafen hält uns die Bundespolizei auf und stellt Fragen zum Sinn und Zweck der Reise. Es ist ihnen suspekt, dass wir jährlich Tausende von Euro sammeln, um das Festival, bei dem die Jugendlichen eine Woche Kost und Logis umsonst haben, zu unterstützen. Dieses Jahr sind es um die 3000 Euro, die wir von solidarischen Kreisen in Deutschland erhalten haben. Dabei ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Lebenshaltungskosten in der Westbank sind extrem hoch und damit auch die Kosten für das Festival. Ungefähr 50.000 Euro werden jedes Jahr dafür benötigt und es kommt immer wieder vor, dass die Autonomiebehörde die finanziellen Zusagen je nach politischer und ökonomischer Lage zurückziehen. Auch bei der Ankunft am Flughafen in Tel Aviv werde ich wieder rausgezogen: Warum ich einen arabischen Vornamen habe? Wie mein Vater und mein Großvater heißen? Was meine Pläne in Israel seien? Diese Fragen stellen die geschulten Sicherheitsbeamte an der Passkontrolle und im speziellen Befragungsbereich nebenan. Bei jeder Einreise. Und ich bin nun schon zum achten Mal in der Region. Also: Fast schon business as usual – obwohl hinter diesen Prozeduren klassisches rassistisches Racial Profiling steckt. Im Befragungsbereich sitzen nur PalästinenserInnen und andere arabisch aussehende Menschen und ärgern sich mit mir, dass sie nicht gleich einreisen können. Einem aus den USA kommenden Palästinenser wird die Einreise komplett verwehrt und er wird laut schimpfend abgeführt.
Nach einem langen Tag kommen wir schließlich in Farkha an, das für mich schon zu einer zweiten Heimat geworden ist. Ich kenne jede Ecke des Dorfes und aus vielen Häusern grüßen bekannte Gesichter. Doch etwas ist anders dieses Jahr: Unser Genosse Fawaz ist nicht mehr am Leben. Er starb im Frühjahr mit Anfang 40, weil er sich eine adäquate Behandlung seiner Diabetes-Erkrankung nicht leisten konnte. Fawaz war seit Anbeginn zentraler Bestandteil des Festivals, seine gute Laune, seine Fähigkeit als riesiger Clown die Kinder zu begeistern, seine künstlerischen Fähigkeiten als Dekorateur und seine natürliche Autorität fehlen dieses Jahr und wenn sein Name fällt, schießen den älteren TeilnehmerInnen die Tränen in die Augen. Und so ist dieser Text und auch diese Reise ihm gewidmet.
Da ich erst zur Mitte des Festivals anreise, habe ich spannende Veranstaltungen verpasst, so zum Beispiel mit Jamal Juma, dem Direktor von Stop the Wall und, wie sich in der Diskussion herausstellt, Mitbegründer der BDS-Kampagne. Das hat natürlich eine Reihe von Fragen in unserer Delegation ausgelöst, deren Diskussion hoffentlich noch verschriftlicht und veröffentlicht wird. In einer anderen Diskussionsrunde stellen die palästinensischen GenossInnen die Frage, wie ihr Kampf den von außen gesehen wird. Dies führt zu einer lebhaften Debatte, ob in einer Besatzungssituation wie in Israel/Palästina der soziale Kampf oder der Kampf um die Befreiung der Frau vernachlässigt werden können oder eben nicht. Die kurdischen GenossInnen der YXK wenden ein, dass diese Kämpfe immer zusammen gedacht werden müssen und eine Einteilung in Haupt- und Nebenwidersprüche, die nach einer etwaigen Revolution behandelt werden, nicht zielführend sei. Übrigens: Die YXK führt einen Blog, auf dem sie täglich kurz über ihre Aktivitäten in Palästina berichtet. Auf kommunisten.de findet ihr zudem alle Berichte aus den zurückliegenden Jahren, die nach wie vor lesenswert sind.
Am Mittwoch des diesjährigen Festivals, dass vom 27. Juli bis 4. August stattfindet, sind in der Früh wieder Bauarbeiten angesagt. So wie jedes Jahr wird immer von 8:30 bis 12:30 Uhr Freiwilligenarbeit geleistet, ein zentraler Bestandteil des Festivals. Heuer sind die Arbeiten sehr gut organisiert, es kommt zu keinen Engpässen. Eine Gruppe streicht den Kindergarten, eine andere lernt ökologische Landwirtschaft im Tal nebenan und eine weitere wiederum baut Stützmauern aus Beton, die das Abrutschen von Häusern verhindern soll (Farkha liegt auf der Spitze eines kleinen Berges). In vier Arbeitstagen haben wir bereits 400 Meter Mauer geschafft. Wer schon mal dutzende Tonnen Beton gemischt hat, Sand, grober Kies, Wasser und Zementpulver zusammen in den Mixer, weiß, wie anstrengend das ist. Vor allem bei fast 40 Grad Hitze.
Nach einer ausgiebigen Dusche kommt es direkt danach zu einer besonderen Zeremonie. Eingeladen sind die Straßenreinigungskräfte der Kreisstadt Salfit, zu der auch das kleine Dorf Farkha gehört. Sie sollen heute für ihre Arbeit geehrt werden, die im Alltag sonst eher unsichtbar bleibt. Selbst die Umweltministerin der Autonomiebehörde hat sich die Ehre gegeben und spricht den Arbeitern (alles Männer) ihren Respekt aus und überreicht Geschenkpakete und Urkunden. Jetzt könnte man einwenden, was denn mit den Frauen sei, die noch versteckter, noch unsichtbarer im Haushalt tagtäglich die meiste Arbeit machen. Zumindest in den letzten Jahren gab es auch immer eine Ehrung für sie auf der Abschlusszeremonie des Festivals und an ein, zwei Tagen wurde das Festivalessen auch von Männern zubereitet – ein kleiner, aber bedeutender Schritt, den wir von Festival zu Festival versuchen auszubauen.
Aufgrund der Größe der internationalistischen Delegation haben wir dieses Jahr auch mehr Raum im täglichen Programm des Festivals: Wir organisieren ein Jugendplenum, um Organisationserfahrungen in Deutschland und Palästina auszutauschen und es finden Diskussionsrunden statt. Während diese Zeilen geschrieben werden, findet im Innenhof der Mittelschule, in der das Festival stattfindet, ein Austausch zur Situation in Deutschland statt, später sind dann die kurdischen GenossInnen dran, um über die aktuelle Situation in Rojava zu berichten. Geplant ist auch ein großes Solidaritätsfoto für die Kampagne #RiseUp4Rojava, um gegen die türkischen Kriegspläne zu demonstrieren.
Ihr seht, es ist viel los und deshalb stürze ich mich jetzt wieder ins Getümmel. Wir hören uns die nächsten Tage.
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