Rojava in Israel/Palästina

Jetzt ist das 26. Farkha-Jugend-Festival wieder vorbei. Monatelange Planung, dutzende Telefonate und Emails, und dann vergehen die acht Tage des Festivals wie im Flug. Auf der Abschlusszeremonie am vergangenen Samstag hält Bakir, der Hauptorganisator, während eines malerischen Sonnenuntergangs eine bewegende Rede.

Abschlusszeremonie in Farkha

Er sei begeistert, wie hart die Freiwilligen dieses Jahr gearbeitet hätten, das „Soll“ wurde sogar um 25% übertroffen. Was bedeutet das konkret? Es wurden nicht nur viele dutzend Meter an Betonmauern zur Stabilisierung von Straßen und Häusern gebaut, sondern vor allem im Ökogarten „Kamar al Balad“ mehr Fläche terrassiert als geplant. Das heißt: mehr Platz zum Anbauen im Frühjahr, mehr biologisches Obst und Gemüse, größere Unabhängigkeit von israelischen Produkten. Natürlich ist allen klar, dass es auf dem Festival nicht auf eine möglichst große Arbeitsleistung ankommt, sondern das solidarisch-kollektive Zusammenarbeiten sinnstiftend für ein zukünftiges Zusammenleben ist. Und genau das hat dieses Jahr so gut funktioniert wie sonst selten. Auch inhaltlich war das Festival politischer als in den letzten Jahren. Diskussionsrunden zur Apartheidsmauer, die die Westbank vom Rest der Welt trennt, BDS, Feminismus, aber auch zwei Jugendplenen, auf denen sich Jugendliche aus Palästina, Deutschland, Spanien, Dänemark und Kurdistan offen austauschen konnten, standen auf dem Programm. Daran wollen wir im nächsten Jahr anknüpfen und neue Interessierte sind herzlich willkommen.

Im weiteren Verlauf seiner Rede dankt Bakir vor allem den Frauen für das Kochen und den DorfbewohnerInnen, die ihre Zementmischer und sonstige Maschinen kostenlos zur Verfügung gestellt hatten. Anschließend sprechen Vertreter von Chadasch, dem Wahlbündnis linker Parteien in Israel, der Fatah und der Gemeinde Salfits, zu der das Dorf Farkha gehört. Auch der Fatah-Arbeitsminister ist anwesend und spricht.Seine Anwesenheit zeigt zwar eine (mündliche) Anerkennung des Festivals, die jedoch ohne konkrete Taten bleibt. In den letzten Jahren ist die finanzielle Unterstützung von offizieller Seite nach und nach zurückgefahren worden, so dass das Festival von Spenden, auch aus dem Ausland, abhängig ist. Zentrale Themen bei den meisten Reden: Der sogenannte „Deal of the Century“, vorgelegt von Jared Kushner, Trumps Schwiegersohn, der die Hegemonie Israels festschreiben soll, und die fortschreitende Zerstörung palästinensischer Häuser.

Nach der offiziellen Zeremonie leert sich der Platz, die Gäste, angereist aus der ganzen Westbank und aus Israel, fahren nach Hause und zurück bleiben die palästinensischen und internationalen Volunteers. Bis in die frühen Morgenstunden werden Nummern ausgetauscht, Gruppenselfies gemacht und hier und da fließt auch schon mal eine Träne. So eine Woche verbindet und schafft (politische) Bindungen, die ein ganzes Leben halten können.

Gespräch mit Uri Weltmann und Carmel Givon. Mit auf dem Bild: Adrian Paukstat von der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe in München.
Foto: Sarah Müller

Am nächsten Tag geht es weiter nach Jerusalem. Am Abend steht dort ein Gespräch mit Uri Weltmann und Carmel Givon von Standing Together an, die Interesse an der marxistischen linken haben. Beide sind Kommunisten, Uri bei Maki, also der Kommunistischen Partei Israels und Carmel in der Young Communist League, quasi der Jugendorganisation der Partei. Und beide sind vor allem in der jüdisch-palästinensischen Organisation „Standing Together“ aktiv. Ein Verhältnis, das nicht immer ganz reibungsfrei ist. Standing Together versucht den Kampf gegen die Besatzung, aber auch gegen soziale Ungleichheit und den neoliberalen Kapitalismus in Israel zu führen. Mit JüdInnen und PalästinenserInnen zusammen. Und das ziemlich erfolgreich: In den letzten Monaten ist die Mitgliedschaft von 250 auf mehr als 1600 angewachsen und bei vielen Protesten, wie gegen Abschiebungen, das Nationalitätengesetz und hohe Mieten war Standing Together präsent und/oder hat bei der Organisation mitgeholfen. Ein witziges Detail am Rande: Während des Gesprächs stellt sich heraus, dass Carmel Givons Großeltern aus Südkurdistan nach Israel kamen, er also Teil der Minderheit der jüdischen KurdInnen ist. Der Familienname sei früher Barzani gewesen, bevor sein Opa in Israel einen jüdisch klingenden Nachnamen gewählt hat.

Von anderen Linken wird Standing Together wiederum kritisiert. Der Moment einer gleichberechtigten jüdisch-arabischen Partnerschaft sei vorbei, der mächtige israelische Staatsapparat ziele voll und ganz auf die PalästinenserInnen ab und deshalb müsse die Energie jüdischer AktivistInnen darauf gerichtet sein, PalästinenserInnen in ihrem Kampf zu unterstützen. So würden bei Standing Together Themen vermieden, die als „zu radikal“ für den weiteren Beitritt von israelisch-zionistischen JüdInnen angesehen werden (zum Beispiel BDS). In der Praxis führe dies dazu, dass jüdische Israelis die Führung bei Standing Together hätten und die PalästinenserInnen nur zum Mitmachen eingeladen seien. Eine weitere Kritik besteht in der fehlenden „Bescheidenheit“, die für die Solidarität mit den unterschiedlichen Kämpfen erforderlich ist. Nur weil eine Demonstration von den lilafarbenen Plakaten der Bewegung geprägt ist, bedeutet das nicht, dass ausschließlich sie diese Aktion organisiert hat. Solidarität bedeute hinter den Schwachen zu stehen und ihren Kampf zu unterstützen und nicht vor ihnen, mit eigenen Schildern, so die Kritik. So oder so: Standing Together ist eine interessante Initiative, deren weitere Entwicklung man solidarisch verfolgen sollte. Und anscheinend streitet sich die israelische Linke genauso gerne wie die deutsche.

Talk zu Rojava im Imbala

Vor der Abreise steht für mich ein weiterer Höhepunkt an: Im Imbala haben Academia for Equality und die Rosa Luxemburg-Stiftung in Israel zu einem Vortrag über Rojava eingeladen. Ich berichte über die türkischen Kriegsdrohungen und meine Forschungsreise in die Region. Das Imbala ist ein interessantes Projekt der israelischen Linken. Mitten im Stadtzentrum West-Jerusalems, zum palästinensischen Ost-Jerusalem sind es vier Minuten zu Fuß, liegt in einer Seitenstraße der kleine Raum, der an einen Infoladen erinnert. Seit Februar 2018 ist er offen und dient als „Safe Space“ für Linke, egal ob jüdisch oder palästinensisch. Sahar, eine der Mitbegründerinnen, sagt: „Als wir gegen den Gaza-Krieg 2014 protestierten, wurden wir auf den Demonstrationen angegriffen. Wir brauchten immer einen Exit-Plan, um unversehrt wegzukommen.“ So entstand die Idee einen dauerhaften Raum zu schaffen, an dem jenseits von Nationalismus und religiösem Fanatismus diskutiert werden konnte. In einer Stadt wie Jerusalem, in der die Mieten mit München und Hamburg vergleichbar sind, kein leichtes Unterfangen. Also dient das Imbala jetzt auch als kleines Café, um die Kosten zu decken. Alle Veranstaltungen werden in Hebräisch, Arabisch und Englisch angekündigt und es gibt bei Bedarf immer eine Übersetzung. Das Imbala dient als Treffpunkt für Extinction Rebellion, queere Gruppen, Animal Rights-AktivistInnen und vielen mehr. Naiv frage ich Sahar, warum sie denn keinen Laden in Ost-Jerusalem angemietet hätten, dort seien die Mieten doch billiger. Sie verdreht die Augen und lacht: „Wir sind doch keine Siedler!“. Eigentlich ist das Imbala im Ferienmonat August geschlossen. Für meinen Rojava-Vortrag machen sie eine Ausnahme. Und um kurz nach acht platzt der Raum aus allen Nähten. Fast 40 Leute sind gekommen. „So viele waren es selten“, freut sich Sahar. Im Publikum einige AkademikerInnen der Hebrew-Universität, sogar eine Kommunikationswissenschaft- beziehungsweise Medienwissenschaftskollegin aus Deutschland, die in Israel gerade ihr Martin-Buber-Stipendium absolviert. Die Diskussion im Anschluss ist angeregt und solidarisch. Viele hören zum ersten Mal von der türkischen Zusammenarbeit mit dem IS und anderen dschihadistischen Elementen in Syrien und sind begeistert von der Revolution in Rojava. Andere haben mehr Ahnung. Als mir die Bezeichnung für die Kritik- und Selbstkritik-Runden in der kurdischen Freiheitsbewegung fehlt, ruft ein israelischer Genosse: „Du meinst doch Tekmil!“. Für einige scheint das Konzept des Demokratischen Konföderalismus auch für Israel-Palästina interessant zu sein und schon gibt es die Idee im kommenden Jahr ein Tagesseminar zu Abdullah Öcalans Theorien anzubieren. Na, das wäre doch was!

Bye Palästina! Bye Farkha-Festival! Bye israelische Linke! Wir sehen uns 2020.

Solidarischer Gruß aus Palästina nach Rojava gegen die türkischen Kriegsdrohungen

Graffiti in Farkha: „Intifada – Serhildan“, gesprayt von GenossInnen des Verbandes der Studierenden aus Kurdistan YXK/JXK.

Alternativer ÖPNV in Palästina