Mit der Bitte um Solidarität

Bildquelle: The Manitoban

Wichtiges Update:

Verhandlungstermine gegen mich vorläufig aufgehoben!

Die zwei angesetzten Verhandlungstage im Mammutprozess gegen mich am 1. und 15. Oktober wurden aufgehoben. Das Amtsgericht will den Ausgang eines ähnlichen Prozesses (Zeigen von YPG-Fahne) am Oberlandesgericht München abwarten. Das heißt die Anklagen gegen mich werden derzeit zwar weiter aufrechterhalten, aber noch nicht verhandelt, weil das Amtsgericht wissen will, wie die höhere Instanz entscheidet. Auf diese Instanz kommt es jetzt an und es könnte sein, dass dort das YPG-Fahnenverbot in Bayern gekippt wird. Oder eben auch nicht. Es ist zumindest ein Zeichen dafür, dass Unsicherheit besteht.

Ärgerlich: seit Wochen haben wir uns auf den Prozess vorbereitet, eine Verteidigungsstrategie überlegt, Zeugen organisiert, Reden geschrieben. Keine zwei Wochen vorher wird alles abgeblasen. Dieser Brief bedeutet, dass die Entscheidungen in meinen Fällen um weitere Monate verzögert werden.

Berxwedan Jiyan E! – Widerstand heißt Leben!

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Liebe FreundInnen, liebe GenossInnen, liebe Interessierte, (english below)

am Dienstag, den 01. Oktober 2019 um 09:30 Uhr und am Dienstag, den 15. Oktober 2019 um 09:30 Uhr findet im Amtsgericht München (Nymphenburger Straße 16) jeweils im Sitzungssaal A221 (2. Stock) ein Mammutprozess gegen mich statt. 13 Anklagepunkte werden verhandelt.

Ich bitte euch hiermit, zu diesem Prozess zu kommen. Betroffen ist einer, gemeint sind wir alle. Und in München wissen wir ja, dass nicht nur ich betroffen bin, sondern dutzende Personen, die sich solidarisch mit den Menschen in Nordsyrien/Rojava und den Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ gezeigt haben.

Worum geht es an diesen beiden Prozesstagen konkret?
Die Staatsanwaltschaft München hat in ihrer Anklageschrift insgesamt 13 Anklagepunkte zusammengefasst. Zehn Mal geht es nur um das Zeigen von Symbolen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG, der Frauenverteidigungseinheiten YPJ und der Partei der Demokratischen Einheit PYD. Diese Symbole habe ich sowohl im Internet, als auch auf Demonstrationen gegen die Nato-Kriegskonferenz, gegen den türkischen Angriffskrieg auf Afrin und auf der DGB-Demonstration zum internationalen Tag der Arbeit, dem 1. Mai 2018, gezeigt. Dazu stehe ich nach wie vor. Die Staatsanwaltschaft München wirft mir vor, damit eigentlich Symbole der PKK gezeigt zu haben.

Besonders absurd: Weil in der Abendzeitung München ein Foto vom Friedensaktivisten Claus Schreer, dem kurdischen Aktivisten und Migrationsbeiratsmitglied Azad Bingöl und mir erschienen ist, auf dem ich ein Logo der YPG hochhalte (siehe hier), wird mir ebenfalls vorgeworfen ein Kennzeichen gezeigt zu haben, „welches sich die ‚PKK‘ zu eigen gemacht hat“, so die Staatsanwaltschaft.

Ein weiterer Anklagepunkt bezieht sich auf einen Facebook-Post zur polizeilichen Durchsuchung meiner Wohnung am 13. November 2017. Damals waren ein oder zwei türkischstämmige Beamte dabei. Eine davon war mir als Polizeibeamtin von vielen Demonstrationen in München bekannt. Im Anschluss an die Hausdurchsuchung bezeichnete ich sie als „türkisch-nationalistisch“. Ich bin deshalb wegen Verleumdung angeklagt…

Die zwei letzten Anklagepunkte beziehen sich auf das Zitieren im Wortlaut aus Anklageschriften oder anderen amtlichen Schriftstücken eines Strafverfahrens.
Konkret: Ich hatte den Durchsuchungsbeschluss meiner eigenen Wohnung teilweise geschwärzt veröffentlicht, sowie einen teilweise geschwärzten Beschluss des Amtsgerichts Aachen über die Ablehnung eines YPG bezogenen Strafbefehls. In keiner der Veröffentlichungen waren persönliche Daten von Betroffenen oder Beteiligten zu erkennen.

Am ersten Prozesstag, den 1. Oktober 2019, sind von der Staatsanwaltschaft bereits acht(!) Polizeibeamte als Zeugen vorgeladen, darunter vor allem sogenannte Staatsschützer. Welchen Staat und welche Ordnung sie damit „schützen“, sei dahingestellt. Der erste Tag ist deshalb von 9:30 Uhr bis mindestens 17 Uhr terminiert.

Ich werde von den Anwälten Berthold Fresenius (Frankfurt) und Yunus Ziyal (Nürnberg) vertreten, die langjährige Erfahrung in politischen Prozessen haben. Fresenius war in der NSU-Nebenklage aktiv und beide vertreten bis heute zehn türkischen KommunistInnen, die seit Jahren vor Gericht in München stehen.

A pro pos politischer Prozess: Es ist für mich eindeutig, dass die Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft gegen mich rein politischer Natur sind. Es geht um Einschüchterung und Disziplinierung. Dies hat bei mir 2014 begonnen mit der Kontokündigung der Commerzbank, ging weiter mit dem angedrohten Berufsverbot 2016 und nun stehen 2019 die YPG-Prozesse an.
Es geht darum kritische Stimmen in Bayern mundtot zu machen. Doch dies wird nicht gelingen, solange wir zusammenstehen. Wir werden den Prozess deshalb ebenfalls politisch führen, entsprechende Zeugen einladen und zeigen, dass dieses Vorhaben der Staatsanwaltschaft nicht aufgehen wird.

Die Staatsanwaltschaft München hat in Bayern und bundesweit eine einzigartige Ermittlungs- und Anklagewelle ins Laufen gebracht, obwohl es bundesweit in diesen Fragen (YPG/YPJ-Symbole etc.) fast nur Freisprüche oder Verfahrenseinstellungen gibt. In den allermeisten Bundesländern wird das Zeigen von YPG/YPJ-Symbolen deshalb gar nicht mehr zur Anzeige gebracht. Selbst in München wurden in den letzten Monaten zahlreiche Beschuldigte freigesprochen oder die Verfahren eingestellt (nur die Aktivsten wurden verurteilt, auch hier geht es darum ein Exempel zu statuieren). In fast allen diesen aktuellen Urteilen ist die Münchener Staatsanwaltschaft jedoch in Berufung gegangen. Die Verfahren in zweiter Instanz laufen derzeit noch.

Was das alles an Zeit, Nerven und Geld kostet, mag man sich gar nicht vorstellen. Wir sollten uns auch daran erinnern, wenn aus Justizkreisen wieder über eine angebliche Überbelastung gejammert wird.

Zum Schluss: Nach wie vor gilt meine Solidarität denjenigen Kräften in Rojava/Nordsyrien, die für die Befreiung der Frau, für eine emanzipierte Gesellschaft und gegen den sogenannten Islamischen Staat kämpfen. Das sind nach wie vor die Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ. Sie verteidigen mit ihrem Kampf auch unsere Freiheit.

Es würde mich also freuen, wenn ihr Zeit und Lust habt, am Dienstag, den 01. Oktober 2019 um 09:30 Uhr und am Dienstag, den 15. Oktober 2019 um 09:30 Uhr ins Amtsgericht München (Nymphenburger Straße 16) zu kommen.

Es gilt das Motto: Alleine machen sie uns ein, gemeinsam sind wir stark.

Solidarische Grüße

Kerem Schamberger

PS: Ihr könnt diese Blogeintrag gerne an Personen weiterleiten, die ebenfalls Interesse haben zu kommen. Es sei hier explizit erwähnt, dass dies kein Aufruf zu einer Kundgebung ist. Es geht um Prozessteilnahme und -beobachtung. Da das Interesse an einer Prozessteilnahme recht hoch sein dürfte, werden wir die Verlegung des Prozesses in einen größeren Raum beantragen. Dieser wird ggf. rechtzeitig bekannt gegeben.

 

English version:

Important update:

Trials against me temporarily cancelled!

The two scheduled trial days in the mammoth trial against me on October 1 and 15 were cancelled. The local court wants to wait for the outcome of a similar trial (showing the YPG flag) at the Higher Regional Court. This means that the charges against me are currently being upheld, because the district court wants to know how the higher court will decide. It is now up to this court and it could be that there the YPG flag ban in Bavaria will be lifted. Or not.
For weeks we have been preparing for the trial, considering a defence strategy, organising witnesses and writing speeches. Only two weeks before, everything is cancelled. This letter means that the decisions in my cases will be delayed for some more months.

 

Dear friends, dear comrades, dear interested people,

on Tuesday, 01 October 2019 at 09:30 a.m. and on Tuesday, 15 October 2019 at 09:30 a.m. a mammoth trial against me will take place in the local court of Munich/Germany (Nymphenburger Straße 16, room A221, 2nd floor). There are 13 charges against me.

I hereby ask you to come to this trial. They focus on one, but we are all meant. And in Munich we know that I am not the only one who is affected, but also dozens of people who have shown solidarity with the people of Northern Syria/Rojava and the YPG/YPJ people’s and women’s protection units.

What are these two trial days all about in concrete terms?

In its indictment, the prosecutor summarized a total of 13 charges against me. Ten times it is about the showing of symbols of the Kurdish people’s protection units (YPG), the women’s defence units (YPJ) and the party of democratic unity (PYD). I have shown their symbols both on the Internet and at demonstrations against the annual Nato Conference in Munich, against the Turkish war of aggression on Afrin and at the unions demonstration on International Labour Day, 1 May 2018.
The prosecutor accuses me of actually showing symbols of the Kurdistan workers party (PKK).

Especially weird: Because a photo of peace activist Claus Schreer, Kurdish activist and member of the migration board if Munich Azad Bingöl and myself appeared in the Abendzeitung München, a local newspaper on which I hold up a YPG logo (see here), I am also accused of having shown a sign „which the ‚PKK‘ has usurped“, according to the prosecutor.

Another accusation relates to a Facebook post of mine after police searched my apartment on 13 November 2017. Back then one or two officers of Turkish origin were present. One of them was known to me as a police officer from many demonstrations in Munich. After the house search I called her a „Turkish nationalist“. I am therefore accused of slander…

The last two charges relate to quote and show/publish indictments or other official documents of criminal proceedings.
Whats that about? I had partially published the search warrant of my own apartment, as well as a order of the local court of Aachen regarding the rejection of a YPG-related fine. In none of the publications were personal data of those affected or involved recognizable!

On the first day of the trial, 1 October 2019, the prosecutor has already summoned eight(!) police officers as witnesses against me, including above all so-called “state protectors”, that means political police officers. It remains to be seen which state and which order they „protect“. The first day is therefore scheduled from 9:30 am until at least 5 pm.

I am represented by the lawyers Berthold Fresenius (Frankfurt) and Yunus Ziyal (Nuremberg), who have many years of experience in political trials. Fresenius was active in the NSU trial  and both have represented ten Turkish communists up to date who have been on trial in Munich for years.

A pro pos political trial: It is clear to me that the prosecution’s charges against me are purely political. It’s about intimidation and discipline. This began in 2014 with the termination of my mothers Commerzbank’s bank account (after 45 years of membership), because of me being her son. It continued with the thread of Berufsverbot in 2016 and now the YPG trials are due in 2019.

The aim is to silence critical voices in Bavaria/Germany. But this will not succeed as long as we stand together. We will therefore also make it a political trial, invite appropriate witnesses and show that this aggression of the prosecutor and the politicians behind will not work out!

The Munich Public Prosecutor’s Office has launched a unique wave of investigations and indictments in Bavaria and throughout Germany, although there are almost only acquittals or suspensions of proceedings on these issues (YPG/YPJ symbols etc.) throughout Germany. In the vast majority of federal states in Germany, the showing of YPG/YPJ symbols is therefore no longer persecuted. Even in Munich in the last months numerous accused people were acquitted or the procedures were stopped (only the most active ones were condemned, because they want to set an example). In almost all of these recent judgments, however, the Munich public prosecutor’s office has appealed. The proceedings in the second instance are still ongoing.

Just imagine all the costs in terms of time, nerves and money. We should also remember all this when there are complaints again from judicial circles about an alleged “overload of work”.

Finally: My solidarity continues to be with those forces in Rojava, Northern Syria, who are working for the liberation of women, for an emancipated society and against the so-called Islamic State and other terrorists and despots. The ones who are fighting are still the people’s and women’s defence units YPG/YPJ. With their struggle and fight they also defend our freedom.

So I would be happy, if you have time. That you come to the Munich District Court (Nymphenburger Straße 16) on Tuesday, 01 October 2019 at 09:30 and Tuesday, 15 October 2019 at 09:30.

The motto is: Alone we are nothing, together we are strong.

Solidary greetings

Kerem Schamberger

PS: You are welcome to forward this blog entry to people who are also interested in coming. It should be mentioned explicitly that this is not a call for a rally. It is about the participation in a process. Since the interest in participation might be quite high, we will request the relocation of the trial to a larger room in the same building.