10 Jahre Universität sind vorbei

Eine Information in eigener Sache: Nach einem Jahrzehnt Studium und Wissenschaft, verlasse ich die Ludwig-Maximilians-Universität Ende Februar. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

Für mich folgt diese Entscheidung aus zweierlei Gründen. Zum einen, aus der Einsicht, dass es für mich nach der Promotion in der Wissenschaft erstmal nicht weiter geht. Der nächste Schritt wäre eine Habilitation und damit der Versuch, eine Professur im deutschsprachigen Raum zu erlangen. Allerdings ist das mit meiner Biographie und meinem Wissenschaftsverständnis nicht sehr realistisch. Ich entspreche nicht dem Profil eines Forschenden aus dem Mainstream der Kommunikationswissenschaft: Ich publiziere nicht ständig Texte in wissenschaftlichen Journals (auch weil mir Aktivismus neben der Forschung genauso wichtig ist) und forsche zu Themen, die im Fach in Deutschland eher randständig sind. Zudem gibt es eine unglaubliche Konkurrenz um freie Professuren, weil es so gut wie keine Dauerstellen im wissenschaftlichen Mittelbau gibt. Entweder man kommt auf eine feste Professur oder man hangelt sich von einem Forschungsprojekt zum nächsten, immer mit der Unsicherheit im Nacken, im nächsten Jahr keine Finanzierung mehr zu haben. Außerdem ist eine Verbeamtung für mich im deutschen Staat eher unwahrscheinlich, bedenkt man die Hürden, die der bayerische Verfassungsschutz mir schon bei einer befristeten Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand in den Weg gelegt hat. Stichwort: Berufsverbot (kürzlich ist eine sehenswerte Dokumentation zum 50. Jahrestag des sogenannten Radikalenerlasses veröffentlicht worden, die ich hier verlinke). Zum anderen, und das ist ein genauso wichtiger Aspekt, habe ich Lust auf etwas Neues. Auf eine Tätigkeit mit mehr Praxisbezug, konkreter Solidarität und Zusammenarbeit mit arbeitenden Menschen auf dieser Welt. Das hört sich pathetisch an. Aber wenn man an die oft abstrakten und abgehobenen Diskussionen in der Wissenschaft denkt, ist es vielleicht nachvollziehbar. Wie oft saß ich bei Tagungen unserer Fachgesellschaft DGPuK und dachte „Was mache ich hier eigentlich?“. Ich weiß, dass es vielen KollegInnen genauso geht.

10 Jahre Universität, vom Bachelor bis zur Doktorarbeit, sind nun vorbei. Ein Jahrzehnt, in dem ich viel lernen und interessante Menschen auf der ganzen Welt kennenlernen durfte. Dafür bin ich sehr dankbar.

Ich möchte an dieser Stelle einen dreifachen Widerspruch beschreiben, der sich jedem kritischen, linken Menschen in der akademischen Wissenschaft stellt.

Erstens: Es ist ein Privileg im Wissenschaftsbetrieb tätig zu sein – über Themen lesen, nachdenken und forschen zu können, einfach, weil es einen interessiert. In Seminaren über Texte zu diskutieren, mit Studierenden Exkursionen zu veranstalten, zu Konferenzen ins Ausland fliegen, und für all das auch noch ein Gehalt bekommen. Toll.
Doch, wer denkt dabei an die Reinigungskräfte, die die Büros und Seminarräume putzen? An die HausmeisterInnen? An die TechnikerInnen, die den WissenschaftlerInnen beistehen, wenn sie mal wieder genervt aus dem Hörsaal anrufen und um Hilfe bitten? Ich hatte das zusätzliche Privileg, dass mein Bachelor- und Masterstudium von der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung finanziert wurde. Ich musste somit in der Studienzeit keiner Lohnarbeit nachgehen. Das ermöglichte mir überhaupt erst politisch aktiv zu sein.

Zweitens: Gleichzeitig gilt, sich auch im Wissenschaftsbetrieb für gute Arbeit einzusetzen, gegen ständige Befristungen und die teilweise feudalen Strukturen des Lehrstuhlsystems zu kämpfen. Fast 92% aller Personen, die in Deutschland wissenschaftlich arbeiten, sind befristet angestellt. Das hat auch Auswirkungen auf die Inhalte, zu denen sie forschen. Man wendet sich lieber Themen zu, die nicht anecken, nicht herrschaftskritisch sind, die schnelle und erfolgreiche Publikationen versprechen und somit den Aufstieg erleichtern. Das Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Zusammenschluss im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen im akademischen Mittelbau. Und damit auch im Kampf dafür, dass kritische Inhalte wieder stärker beforscht werden können.

Drittens: Staatlich finanzierte Universitäten sind auch Orte, an denen vor allem (aber nicht nur) Herrschaftswissen produziert wird, das zur Legitimation und Bestätigung des gesellschaftlichen Status quo herangezogen werden kann. Damit muss man sich ständig auseinandersetzen. Abdullah Öcalan vergleicht Universitäten sogar mit früheren Tempeln, an denen „Untertanen-Staatsbürger*innen“ erzogen werden. ProfessorInnen sieht er als moderne „Tempelpriester“, die mit ihren „Predigten“ das nationalstaatlich-kapitalistische System aufrechterhielten. Natürlich gilt es hier zu differenzieren: „Zweifellos bedeutet das nicht, dass in diesen Institutionen gar keine Intellektuellen ausgebildet werden und gar keine Wissenschaft produziert wird. Verstehen müssen wir, dass Intellektuelle und Wissenschaft, die in die Macht integriert werden, sich von ihrem Ziel verabschieden, bezogen auf die gesellschaftliche Realität zu forschen und zu erfinden“ (Öcalan, 2020, S. 422). Es gilt sich also dieser ständigen Verlockung der Integration in verschiedenste Machtinteressen zu widersetzen. Das heißt unter anderem, stets darüber nachzudenken, für wen man Wissen produziert und wie dieses Wissen genutzt werden kann. Erhalte ich den schlechten Zustand unserer Welt oder trage ich zur so dringend notwendigen sozial-ökologischen Transformation (oder: Revolution) der Gesellschaft bei? Stark geprägt hat mich hier Geoffroy de Lagasnerie (2018) und sein Konzept der dysfunktionalen Wissenschaft, die das Bestehende nicht länger stützt und verlängert, sondern zu seiner Überwindung beiträgt. Ich habe erst kürzlich ausführlich über mein Wissenschaftsverständnis bei Henriette Heidbrink und Lars Rademacher in ihrem Pendant-Podcast gesprochen.

Um die genannten Widersprüche auszuhalten, haben einige KollegInnen und ich 2017 das Netzwerk Kritische Kommunikationswissenschaft gegründet. Es ist ein Ort der Solidarität, des Austauschs und der gegenseitigen Unterstützung. Platt gesagt: Ein Ort, an dem man darüber reden kann, wie destruktiv der Kapitalismus und sein profitorientiertes Mediensystem sind, ohne von KollegInnen dafür dumm angeschaut zu werden. Die Gründung des Netzwerks war und ist ein Erfolg. Vom 12.-14. Mai 2022 wird in Wien die vierte große Tagung stattfinden. Diesmal zum Thema „Eigentum, Medien, Öffentlichkeit“ (ihr seid herzlich eingeladen). Dort werden wird über den Einfluss von Eigentumsverhältnissen auf Medien sprechen und der Eigentumsvergessenheit des Faches etwas entgegensetzen. Denn trotz der zentralen Stellung der Basisinstitution Eigentum in kapitalistischen Gesellschaften hat ein großer Teil der Kommunikations- und Medienwissenschaft diese aus dem Blick verloren. Das aktuelle Konferenzprogramm haben wir hier veröffentlicht.

Auf dem Foto mit Karin Zennig, die neu im Campaigning-Bereich von medico arbeitet

Meine Zeit an der Universität ist also vorbei. Wie geht es nun weiter? Ich werde zum 1. März 2022 zu medico international wechseln und dort als Referent für Migration und Flucht in der Öffentlichkeitsarbeit arbeiten. Ein Thema, in dem sich die multiplen Krisen unserer kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Produktionsweise wie in einem Brennglas bündeln. Der bisherige Umgang mit Menschen, die zu uns kommen, zeigt, dass wir jetzt schon vor einem Scheidepunkt stehen: werden wir es schaffen, eine solidarische Einwanderungsgesellschaft zu erstreiten, die die Menschen aufnimmt und zugleich Fluchtursachen bekämpft? Oder wird die derzeit autoritäre Entwicklung fortgesetzt, Europas Grenzen durch die Kriminalisierung von Migration zu „schützen“ und fliehende Menschen unmenschlichsten Bedingungen auszusetzen? Allein in den letzten Monaten wurden Fliehende an der kroatisch-bosnischen Grenze aus der EU geprügelt und im Niemandsland zwischen Polen und Belarus dem Kältetod ausgesetzt. Gleichzeitig werden autoritäre Regierungen, wie das AKP-Regime in der Türkei oder die Taliban in Afghanistan, anerkannt und politisch hofiert, damit sie dem Westen die Menschen vom Leib halten. Und westafrikanische Staaten werden auch immer mehr zu „Türstehern Europas“ – jenseits jeglicher medialer Aufmerksamkeit. Auch für die Millionen kommenden Klimaflüchtlinge in den nächsten Jahren bedeutet das nichts Gutes.

Es gibt viel zu tun – zusammen mit den KollegInnen bei medico und den Bewegungen für ein Recht auf Migration werden wir das gemeinsam anpacken!

PS: Dieser Blog bleibt natürlich bestehen und wird immer wieder über meine politische Arbeit und Projekte informieren.

Literatur:
Lagasnerie, G. d. (2018). Denken in einer schlechten Welt. Berlin: Matthes & Seitz.
Öcalan, A. (2020). Manifest der demokratischen Zivilisation – Bd. III Soziologie der Freiheit. Münster: Unrast.