Die Apartheid deutlich machen – das 28. Farkha-Festival in Palästina

Und jährlich grüßt das Murmeltier. Erneut befindet sich eine internationale Delegation auf dem Farkha-Festival in Palästina. Sie ist so groß wie nie. Eindrücke aus einem Gebiet unter Besatzung und Apartheid.

Auch wenn der Begriff der Resilienz im individuellen die Gefahr der neoliberalen Selbstoptimierung und Anpassungsfähigkeit in sich birgt, lässt er sich im gesellschaftlichen auf Palästinenser:innen übertragen, die seit 1948 beziehungsweise seit 1967 unter einer Besatzung  leben und trotzdem weiter widerstandsfähig sind und sich nicht klein kriegen lassen. Davon kann sich seit einigen Tagen eine achtzigköpfige internationale Delegation ein Bild machen. Nach einer dreitägigen politischen Tour durch Nazareth, Bethlehem, Jerusalem und Hebron befindet sie sich nun auf dem mittlerweile 28. Farkha-Festival, das im Distrikt Salfit in der von Israel besetzten Westbank stattfindet. Die Skandalisierungsversuche der Springer-Presse im letzten Jahr mit den üblichen an den Haaren herbeigezogenen Antisemitismus-Vorwürfen haben das Gegenteil bewirkt. Das Interesse an der Veranstaltung, die von der Jugend der Palestinian Peoples Party (frühere Kommunistische Partei Palästinas) und der Bevölkerung im Dorf Farkha organisiert wird, ist stark gestiegen. Die Delegation besteht aus jungen Linken, Kommunist:innen und Klimaaktivist:innen aus Slowenien, Dänemark, Österreich, Schweiz, Deutschland und spiegelt zugleich die Realität der postmigrantischen Gesellschaften wieder: Marokko, Ägypten, Tunesien, Türkei, Kurdistan, um nur einige Verbindungen der Teilnehmer:innen zu nennen.

Über die Aktivitäten auf dem Festival finden sich aus den letzten Jahren bereits zahlreiche Berichte auf kommunisten.de. Auch in diesem Jahr steht die Freiweilligenarbeit im Mittelpunkt – inspiriert von den freiwilligen Arbeitseinsätzen im revolutionären Kuba der 1960er Jahre und nach Palästina durch Tawfiq Ziad gebracht, Dichter und langjähriger kommunistischen Bürgermeister von Nazareth. Während natürlich wieder in der Ökokooperative Kamal Al Balat gearbeitet und Land terrassiert wird, um Anbaufläche für Bio-Gemüse zu gewinnen, ist der direkte Kampf gegen die israelische Besatzung und ihren Siedlerkolonialismus diesmal besonders im Fokus. Denn die israelische Armee hat für 1000 Dunams des Dorfes (1 Dunam entspricht etwa 1000 Quadratmetern) eine Beschlagnahmungsanordnung erlassen. Israelische Siedlungen, die sich in der Nähe befinden, wollen expandieren und dafür soll Land von 80 Bauern und Bäuerinnen in Farkha beschlagnahmt werden. In der Nähe befinden sich die Siedlungen Ariel, gegründet bereits 1978 und bewohnt von etwa 20.000 Besatzer:innen sowie zusätzlich 10.000 Studierenden der Ariel-Universität, sowie die High-Tech-Siedlung Barkan, gegründet 1981 und mit 2000 „Bewohner:innen“. In der Mitte von beiden befindet sich der 2020 gegründete Außenposten Ar-Ras mit dem Ziel die beiden Siedlungen zu verbinden. Dahinter steckt ein langfristiger strategischer Siedlungsbau, der den nördlichen Teil der Westbank, mit den großen Städten Nablus und Dschenin vom Rest abtrennen soll und das Gebiet in immer kleiner Bantustans zergliedern will, die so noch einfacher von der Besatzungsmacht kontrolliert werden können. Die kürzliche Übertragung der Autorität über die zivilen Angelegenheiten der Besatzung an das israelische Finanzministerium unter Leitung des rechtsextremen und rassistischen Ministers Bezalel Smotrich ist Teil dieses Planes. Langfristig soll das ganze Gebiet in den israelischen Staat eingebunden werden. Jamal Juma, Koordinator der zivilgesellschaftlichen „Stop the Wall“-Kampagne und Mitbegründer von BDS, hat der Delegation zu dieser Strategie einen Input gegeben, dessen Umsetzung mit einer anschließenden Fahrt in der Umgebung Jerusalems deutlich wurde. Eine „beeindruckende“ Visualisierung der Apartheid konkret vor Ort.

Doch zurück in das Dorf Farkha. Für die Erweiterung von Ar-Ras soll nun weiteres Land beschlagnahmt werden. Und um dies zu verhindern, wird das Land derzeit kultiviert. 1500 Olivenbäume wurden gepflanzt, ein Grill-Bereich für Familien entsteht, sowie ein Bike- und Wandertrail. Menschen sollen dazu animiert werden, auf dem bedrohten Gebiet Zeit zu verbringen und eine Verbindung aufzubauen. Auch damit Widerstand geleistet wird an dem Tag, an dem Siedler:innen, beschützt von der israelischen Armee, kommen, um das Land zu besetzen. Schon jetzt werden die Aktivitäten der Dorfbewohner:innen ständig von Siedler:innen beobachtet, oft unter Schutz israelischer Soldaten. Deutlich wird, dass die Einverleibung palästinensischen Landes in der Westbank oft in direkter Komplizenschaft mit der Armee einhergeht. Das eine wäre ohne das andere nicht möglich. Palästinensische Arbeiter:innen trauen sich mittlerweile nicht mehr auf dem Land zu arbeiten, weil sie Angst haben ihre Arbeitsgenehmigung für Israel, die ein paar von ihnen besitzen, zu verlieren. Großen Baumaschinen wie Baggern droht zudem die Beschlagnahmung, sollten sie auf das beanspruchte Land fahren. Und deshalb arbeiten wir als Festivalteilnehmer:innen dort, reinigen das Gebiet von Steinen und errichten Mauern um den entstehenden Grill- und Freizeitplatz. Am kommenden Freitag wird der neue Freizeitort eingeweiht.

Auf diesem Screenshot von Google könnt ihr (skandalöserweise) schon sehen, wie das betroffene palästinensische Gebiet bei Farkha einfach schon in die Siedlung „integriert“ wurde.

Diese Aktivitäten sind Ausdruck des Widerstandes der Menschen aus Farkha gegen die Besatzung und zugleich ein Zeichen für ihre – bei weitem nicht einfache – Fähigkeit zur Resilienz, sich immer wieder auf neue Bedrohungen einstellen zu können. Teil davon sind auch die Pläne der Gemeinde, den jahrhundertealten Kern des Dorfes aus der osmanischen Zeit zu renovieren und attraktiv für Tourismus und Büroräume in altem Ambiente zu machen. Im kommenden Winter sollen dort zudem Dreharbeiten zu einem Kinofilm mit internationaler Beteiligung stattfinden, der den Aufstand gegen die britische Besatzungsmacht ab 1936 thematisiert. Man darf gespannt sein.

Neben der Freiwilligenarbeit finden auch viele Veranstaltungen statt. Zum ersten Mal stellen Teilnehmer:innen der internationalen Delegation ihre Kämpfe und Auseinandersetzungen vor. Von Stadtteilarbeit, Klimaaktivismus in Slowenien, Kurdistan-Solidarität und den Kampf gegen antipalästinensischen Rassismus wurde die Vielfalt deutlich, die in ihrer Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung geeint ist. Issam Aruri, Direktor des Jerusalem Legal Aid & Human Rights Center (JLAC), das juristisch gegen die Besatzung kämpft, hält einen Vortrag mit konkreten Zahlen: zum Anstieg der von Israel durch Räumungsverfahren zerstörten Häuser und Geschäfte, die von 200 im Jahr Anfang der 2000er auf 830 im Jahr 2022 gestiegen ist, über die mehr als 600 israelischen Kontrollpunkte, Barrikaden und Checkpoints in der Westbank, zu den 142 Leichnamen getöteter Palästinenser:innen, die den Angehörigen durch die Besatzungsmacht vorenthalten werden. Teilweise seit Jahren. Bis Anfang Juli wurden bereits 153 Palästinenser:innen getötet, das bisher tödlichste Jahr seitdem die Vereinten Nationen 2005 mit der Aufzeichung begonnen hat. Als ein palästinensischer Genosse während des Vortrags empört aufsteht und deutlich macht, dass hinter jeder dieser Zahlen konkretes Leid, eine Familiengeschichte, Freundschaften stehen, ist das für die Delegation wie ein Weckruf.

„Wir bitten die internationale Gemeinschaft darum, das zu tun, was sie mit Russland im letzten Jahr in nur sieben Tagen gemacht haben und im Fall Israel seit sieben Jahrzehnten nicht hinbekommen“, sagt Aruri und blickt in die Gesichter der Internationalist:innen.

(Auf Twitter könnt ihr den Verlauf der Delegationsreise im Detail nachverfolgen)