Facebook und Erdogan in Deutschland: Ein Dreamteam

Erdogan besucht Deutschland und wird mit allen Ehren empfangen. Nicht nur von der Bundesregierung, sondern auch von Facebook. Der Konzern sperrt am ersten Tag der Staatsvisite meine Facebook-Seite. Eine aktuelle Chronik der Zensur.

Es ist Samstag, der 29.9.2018. Gegen 00:30 Uhr erhalte ich auf mein Smartphone eine Nachricht. Facebook schreibt: „Wir haben etwas entfernt, dass du gepostet hast“. „Du bist vorübergehend für das Posten gesperrt“. 30 Tage lang soll ich nichts veröffentlichen und kommentieren, keine Messenger-Nachricht beantworten können, weil meine Posts gegen die ominösen, nicht genau definierten „Facebook-Gemeinschaftsstandards“ verstoßen haben. Knapp 25.000 Menschen (5000 „Freunde“, 19.660 AbonnentInnen) interessieren sich für meine Nachrichten zur Türkei und Kurdistan, besonders während der Stippvisite des türkischen Diktators ist die Aufmerksamkeit groß. Doch nun bin ich von Facebook für einen Monat gesperrt. Das kann kein Zufall sein. Facebook will so explizit Türkei-Kritik zum Verstummen bringen (Warum Facebook so agiert, könnt ihr hier lesen). Alles was sich irgendwie auf die kurdische Freiheitsbewegung, auf den Denker Abdullah Öcalan bezieht, soll aus dem sozialen Netzwerk entfernt werden, vor allem wenn es eine gewisse Reichweite hat und den Deutungen der Herrschenden widerspricht. Das passiert übrigens nicht zum ersten Mal. Bereits im Winter 2016/2017 wurde ich wiederholt gesperrt (siehe die damaligen Blogveröffentlichungen hier, hier und hier. Wenn ihr auf dem Blog in die Suchzeile „Facebook“ eingebt, findet ihr alle bisherigen Veröffentlichungen dazu). Bisher betraff es vor allem Bilder und Symbole. Ist auf einem Demonstrations-Foto eine Fahne Öcalans, der PKK oder der KCK zu sehen, wird der Beitrag gelöscht. Doch in den Tagen nach Samstagnacht stellt sich heraus: Facebook hat seine „Gemeinschaftsstandarts“ ergänzt, ob auf Druck der Bundesregierung oder der türkischen Diktatur bleibt offen. Jetzt ist es sogar verboten, sich in reinen Textbeiträgen positiv (oder sogar neutral) auf Öcalan oder die kurdische Freiheitsbewegung zu beziehen. Wortkombinationen wie „Freiheit für Abdullah Öcalan“ werden zensiert. Weiter unten findet ihr Screenshots als Beleg.

Wie wird nun die aktuelle Sperrung des Facebook-Profils begründet? Allein das ist schon ein Skandal an sich:

Bereits vor fast zwei Jahren, am 24.12.2016, wurde ich für 30 Tage von Facebook gesperrt. Die damalige Begründung: Ein Post von Oktober 2012 (!), auf dem die Bundestagsabgeordnete der Linken, Nicole Gohlke, das führende Syriza-Mitglied Giorgos Chondros (Griechenland), der damals stellvertretende Parteivorsitzende der DKP, Leo Mayer, zwei kurdische GenossInnen und ich zu sehen sind. Wir sind auf einer offiziellen Veranstaltung der Europäischen Linken (EL) in München. Die EL ist eine der größten linken Sammlungsparteien Europas, mit dutzenden Abgeordneten im Parlament. Auf dem Foto halten wir eine Flagge der Partei. Zusätzlich tragen wir eine Fahne, auf der „Freiheit für Abdullah Öcalan“ steht und auf der auch das Gesicht des Mannes zu sehen ist, der seit 20 Jahren in der Türkei auf der Gefängnisinsel Imrali in Isolationshaft sitzt. Ihr seht den Post weiter unten als Screenshot.

Schon im Dezember 2016 war die Sperrbegründung von Facebook absurd. Denn bereits Anfang November 2016 war der beanstandete Post, also sechs Wochen vor der Sperrung am 24. Dezember 2016, von Facebook gelöscht worden. Darüber schrieb ich damals in einem Blogbeitrag „Wieder Facebook-Zensur – es wird immer verrückter„:

Den entsprechenden Post hatte ich Mitte Oktober 2012, also vor mehr als 4 Jahren getätigt. Vor ca. sechs Wochen wurde er gelöscht. Jetzt erhalte ich also wieder eine Nachricht, dass er entfernt wurde, obwohl er ja gar nicht mehr auf Facebook zu finden ist. Die damalige Löschung des Posts vor sechs Wochen hatte ich schon in einem Blogeintrag vom 22.11.16 dokumentiert. Damals wurde mein Facebook-Profil während meiner Sperrung komplett durchgescannt und diverse alte Posts einfach so gelöscht.“

Zwischenstand zusammengefasst: Facebook löschte im November 2016 einen Post mit EL- und Öcalan-Fahne mit der Angabe, dieser verstoße gegen die ominösen „Facebook-Gemeinschaftsstandards“. Mein Facebook-Profil wurde am 24. Dezember wegen dieses, damals schon nicht mehr existenten Posts für 30 Tage gesperrt.

Jetzt, fast zwei Jahre später, wurde mein Profil wieder von Facebook und seinen Löschteams gesperrt. Die Begründung: eben jener Post, der im Dezember 2016 bereits zu einer Sperrung führte und der von Facebook schon im November 2016 gelöscht worden war. Zur Erinnerung: Es handelte sich um einen Post mit europäischen Politikern und einer Aktion der internationalen Solidarität. Nichts weiter.

Ein nicht mehr existenter Post, der bereits sanktioniert worden war, hat also zu einer erneuten Sperrung von 30 Tagen geführt. Dass diese Sperrung genau zum Besuch Erdogans in Deutschland erfolgt, ist kein Zufall. Gerade in den letzten Tagen postete ich viele AKP- und Erdogan-kritische Inhalte und Nachrichten, mit einer relativ großen Reichweite. Facebook versucht hier in Zusammenarbeit mit der türkischen Diktatur, Kritiker Erdogans zum Schweigen zu bringen.

Zum Glück gibt es die Screenshot-Funktion, mit der alles dokumentiert werden kann:

Hier zu sehen: Der Beleg, dass der ursprüngliche Beitrag bereits am 24.12.16 von Facebook sanktioniert und gelöscht(!) worden war. Unten rechts seht ihr das Datum des Screenshots.

Bereits am 24.12.16 wurde mein Facebook-Profil deshalb für 30 Tage gesperrt. Hier ebenfalls ein Beleg-Screenshot, unten rechts das Datum.

Und hier nun die erneute Sperrung am 29.9.18.  Wieder der gleiche Post (den es ja eigentlich nicht mehr gibt), wieder ein Verstoß gegen die sogenannten „Gemeinschaftsstandarts“.

Hier noch der Beleg, dass der Sreenshot vom 29.9.18 wirklich aktuell ist. Auf Nachfrage kann ich den Screenshot gerne im Original zusenden.

Und wieder das gleiche Ergebnis: Das Facebook-Profil ist für 30 Tage gesperrt.

 

Doch das war noch nicht alles. Wie es aussieht, geht Facebook jetzt auch gegen geschriebenen Text und nicht nur gegen Bilder und Logos vor. So erhielt ich in der darauffolgenden Woche den Hinweis der Löscher auf zwei weitere „Verstöße“ gegen die „Gemeinschaftsstandards“, die sich allerdings nur auf Textnachrichten beziehen. Es geht um die Forderung „Freiheit für Abdullah Öcalan“ und um einen Bericht gegen ein Verfahren gegen den kurdischen Aktivisten Azad Bingöl aus München. Er musste 500 Euro Strafe zahlen, weil er ein Bild von Abgeordneten gepostet hatte, die im Bundestag eine Fahne der PKK zeigten. Diese beiden Posts waren von mir nicht bebildert worden. Sie sind nicht mehr auffindbar, da sie ja von Facebook gelöscht worden sind, ihr seht sie aber hier im Screenshot:

Die von Facebook gelöschten reinen Textbeiträge zur Freiheit für Abdullah Öcalan und der Strafe für Azad Bingöl.

Und es geht noch weiter. Auf meiner öffentlichen „Fanpage Kerem Schamberger“, die im Gegensatz zu meinem privaten (aber reichweitenstärkeren) Profil noch nicht gesperrt ist und von anderen Nutzern bearbeitet werden kann, wurde eine Information zur Sperrung meiner Hauptseite gepostet. Mit dabei: ein Screenshot der FB-Sperrnachricht vom 29.9.18, das auch das Bild mit der EL- und Öcalan-Fahne zeigte. Das Gesicht von Öcalan wurde jedoch extra verpixelt, damit dieser Post nicht wiederum zu einer Sperrung der „Fanpage“ führen würde. Doch falsch gedacht. Nun wurde auch dieser Post wegen des Verstoßes gegen die „Gemeinschaftsstandards“ gelöscht und ist nicht mehr zu sehen. Einen Beleg findet ihr weiter unten (gut zu sehen: das verpixelte Gesicht Öcalans, das bisher immer zur Sperrung geführt hatte).

Nun ebenfalls zensiert: die Nachricht auf der „Fanseite“ über die Sperrung meines Hauptprofils.

Diese Maßnahmen der offenen Zensur sind nicht nur auf Facebook beschränkt. Auch mein Youtube-Account, auf dem Videos zu meinen wissenschaftlichen Forschungsreisen nach Uganda und Kurdistan zu sehen waren, wurde vor einigen Monaten ohne vorherige Ankündigung gelöscht und komplett gesperrt. Die Videos, auf Youtube zurechtgeschnitten, sind nicht mehr zugänglich und auch mein Profil existiert nicht mehr. Sämtliche Versuche, einen neuen Account mit meinem Namen oder von meinem Laptop/PC anzulegen, wurden von Youtube abgeblockt. Es ist nun eine verbotene Zone, zu der ich keinen Zugang mehr habe.

Auch auf Twitter nehmen die Zensurversuche zu. Immer öfter werden einzelne Tweets von türkisch-nationalistischen Trolls  (oder dem MIT-Geheimdienst) gemeldet und überprüft. Bisher endeten alle Anfragen ohne Sperrung, aber wie lange noch?

Klar ist, dass die Herrschenden (seien es Recep Tayyip Erdogan in der Türkei oder RWE, der Verfassungsschutz oder die Bundesregierung in Deutschland) mit dem Internet die Deutungshoheit über politische Ereignisse verloren haben. Auf Facebook, Twitter, Youtube, können aktivistische Berichterstatter eine alternative Deutung präsentieren und dabei mit Glück und Ausdauer eine größere Zahl an Menschen erreichen. Bei mir sind es Fragen der Demokratie in Kurdistan, der Türkei, dem Nahen und Mittleren Osten, aber auch in Deutschland, die ich aufwerfe. Dies soll mit solchen Maßnahmen eingeschränkt und die Kraft der „Erzählungen von oben“ wiederhergestellt werden. Ob das auf Dauer gelingen wird, hängt von unserem Widerstand ab. Was ihnen jetzt schon gelingt: mir die Zeit zu nehmen, mich nur mit der Verfolgung durch Facebook und den Staat auseinanderzusetzen und keine Zeit mehr für das Wesentliche zu haben: Nachrichten über die Unterdrückung von DemokratInnen und Linken in der Türkei und Kurdistan zu veröffentlichen.